In der Einführung zur VWL-Vorlesung hatte ich Ihnen ein Schaubild gezeigt mit der langfristigen Entwicklung des Rohölpreises (genauer: ein Rohölpreis, konkret für die Sorte Brent – Europe). Dabei waren auch kurz die Stichworte 1. (und 2.) „Ölkrise“ gefallen. Dazu einige wenige ergänzende Erläuterungen. Zuvor aber eine lange Zeitreihe (von 1960 bis 2022) mit Jahresdurchschnittswerten nicht für das europäische Rohöl, sondern für das OPEC-Rohöl:

Das Öl im Mittleren Osten und in Südamerika förderten bis in die 1950er Jahre vornehmlich die multinationalen, privatwirtschaftlichen Unternehmen, die jene Vorkommen zumeist auch erschlossen hatten. Bis Anfang der 1970er Jahre richtete sich der Ölhandel am „Posted Price“ (Listenpreis) aus, den die Rohölproduzenten (große Mineralölgesellschaften) gemeinsam festlegten und der die Abgaben an die Förderländer und damit letztlich deren Staatshaushalt bestimmte. Als die Öl besitzenden Staaten zunehmend feststellten, wie hoch die Gewinne waren, die die Konzessionshalter erwirtschafteten, verlangten sie einen höheren Anteil. Die Ölgesellschaften dagegen versuchten, den „Posted Price“ noch zu senken. Um sich gegen die Folgen dieses Preisverfalls für die eigenen Einnahmen zu schützen, gründeten fünf Staaten im Jahr 1960 die OPEC als Kartell erdölexportierender Staaten: Iran (damals noch Persien), Irak, Kuwait, Saudi Arabien und Venezuela. Später kamen weitere Staaten hinzu, wie Algerien, Libyen, Nigeria, Indonesien, Katar und die Vereinigten Arabischen Emirate.
Um die Öleinnahmen ihrer Staaten zu sichern, führten die OPEC-Länder eine Reihe von Verstaatlichungen im Bereich der Ölindustrie durch.
Nach dem Kriegsausbruch im Nahen Osten im Jahr 1973 setzten die OPEC-Länder die Rohölpreise hoch und boykottierten Öllieferungen an die USA und die Niederlande. Die Folge war ein sprunghafter Anstieg der Ölpreise – die so genannte erste Ölpreiskrise. So die Darstellung in dieser bereits 2004 vom Mineralölwirtschaftsverband veröffentlichten Broschüre Preisbildung am Rohölmarkt.
Jetzt sind wir also angekommen bei dem, was immer als „1. Ölkrise“ durch die Bücher geistert – die Anführungszeichen sollen andeuten, dass die vielerorts verwendete Bezeichnung 1. Ölkrise unvollständig ist, denn nicht das Rohöl hat die Krise bekommen, sondern der Ölpreis. Was ist damals passiert?
Während des Jom-Kippur-Krieges setzen mehrere OPEC-Staaten den Ölboykott gegen die Verbündeten Israels ein und reduzieren die Ölproduktion um bis zu 25 Prozent.
➔ Jom-Kippur-Krieg? Was war das nun wieder? Das war ein Krieg vom 6. bis zum 25. Oktober 1973, der von Ägypten, Syrien und weiteren arabischen Staaten gegen Israel geführt wurde. Nach dem Palästinakrieg (1948/49), der Suezkrise (1956) und dem Sechstagekrieg von 1967 war er der vierte arabisch-israelische Krieg im Rahmen des Nahostkonflikts. Auf arabischer Seite wird dieser Krieg als Ramadan-Krieg oder Oktoberkrieg bezeichnet, da er während des islamischen Fastenmonats Ramadan stattfand, der in jenem Jahr in den Oktober fiel. Der Krieg begann mit einem Überraschungsangriff Ägyptens und Syriens am 6. Oktober 1973, dem höchsten jüdischen Feiertag Jom Kippur, auf dem Sinai und den Golanhöhen, die sechs Jahre zuvor von Israel im Zuge des Sechstagekrieges erobert worden waren. Während der ersten zwei Tage rückten die Streitkräfte Ägyptens und Syriens vor, danach aber wendete sich der Kriegsverlauf zugunsten der Israelis.
Von 1973 bis zum Beginn der 1980er Jahre kontrollierte die OPEC den Ölmarkt und die Preisbildung. Der „Posted Price“ wurde zuerst durch einen „Government Selling Price“, der von den Regierungen der Öl fördernden Staaten festgesetzt wurde, und später durch den „Official Selling Price“ ersetzt, der von den staatlichen Ölgesellschaften festgelegt wurde. Der OPEC gelang es damit, den Rohölpreis in den 1970er Jahren auf einem deutlich höheren Niveau zu halten, als in den Vorjahren erreicht worden war.
Und die „2. Ölkrise“?
Einen weiteren dramatischen Preisschub erlebte die Welt nach dem Umsturz im Iran durch Chomeini im Jahr 1979 und dem folgenden Beginn des Krieges zwischen Iran und Irak. Ausgelöst wurde die 2. Ölpreiskrise vor allem durch Förderausfälle und Verunsicherung nach der Islamischen Revolution im Iran und dem folgenden Angriff des Iraks auf den Iran (der sogenannte „1. Golfkrieg“. Der „2. Golfkrieg“ fand 1990/1991 statt: Irakische Truppen hatten am 2. August 1990 Kuwait besetzt. Anfang 1991 stellte eine internationale Koalition unter Führung der USA den Zustand vor dem Krieg wieder her, indem es den Irak militärisch besiegte).
Und was haben die erdölimportierenden Länder gemacht?
Die Reaktion der Öl importierenden Staaten auf die Preissteigerungen der 1970er Jahre war einerseits die Suche nach Möglichkeiten zur Verringerung ihres Ölbedarfs – etwa durch Energieeinsparmaßnahmen oder alternative Energien. Andererseits wurden bei dem hohen Preisniveau Ölfelder erschlossen, in denen die Förderung bei niedrigen Preisen nicht wirtschaftlich war – z.B. in der Nordsee und in Alaska.
Vor dem Hintergrund dessen, was wir in diesen Tagen erleben müssen, sehr interessant sind diese Hinweise, die man auf der Seite des Bundeswirtschaftsministeriums finden kann: »Mittelfristig führt die Ölkrise zum Ausbau der europäischen Öl- und Gasförderung, zu Erdgasgeschäften mit der UdSSR sowie zum Ausbau der Atomenergie.« Und weiter heißt es dort: »Mitte der 70er Jahre kommt es zu einer „Stagflation“, das heißt niedriges Wirtschaftswachstum (Stagnation), gepaart mit einer hohen Inflationsrate. Die sozialliberale Regierung versucht, die Lage durch Konjunkturprogramme, die durch Neuverschuldung finanziert werden, in den Griff zu bekommen. Der Erfolg der Programme ist gering: Die Arbeitslosigkeit steigt, die Inflation bleibt hoch und das Wirtschaftswachstum niedrig.« Das Gespenst der „Stagflation“ wird auch in diesen Zeiten erneut an die Wand gemalt.
Schlussendlich noch was für die Augen – Ihr Dozent hatte Ihnen von einer der Reaktionen des Staates berichtet in den Tagen der ersten Ölkrise 1973. Konkret ging es um „autofreie Sonntage“. Dazu dieser kurze Rückblick, der vor kurzem im ARD-Fernsehen veröffentlicht wurde:
➔ ARD: Zeitreise: Ölkrise 1973
In den 1970er Jahren war Deutschland so abhängig vom Öl der Scheichs wie heute von Putins Gas. Um Öl zu sparen, verordnete damalige Bundesregierung im Herbst 1973 vier autofreie Sonntage. Ausnahmen gab es nur für Ärzte und Polizisten: