Ein aktueller Nachtrag zum Thema Rohölpreise: Die OPEC+ kürzt die Fördermengen

Da hatten wir gerade in der Einführungsveranstaltung zur VWL als ein Beispiel die Rohölpreise behandelt und dabei einen Ausflug in die Jahre 2014/15 gemacht, wo der damalige Rohölpreis innerhalb kürzester Zeit von im Schnitt 110 US-Dollar pro Barrel auf 50 und dann sogar nur noch 30 Dollar abgestürzt ist. Sie haben gelernt, dass dies zum einen die Folge einer erheblichen (und bewusst vorgenommenen) Angebotsausweitung war, mit der man der damals florierenden Fracking-Industrie in den USA den (Preis)Kampf ansagen wollte. Aber das alles kann man nur verstehen, wenn man auch die politischen Hintergründe nachvollzieht.

In diesen Tagen werden wir nun erneut mit einem bewussten Eingriff auf der Angebotsseite konfrontiert – allerdings nun in Form einer Angebotsverknappung. Was ist passiert?

»Der Öl-Verbund OPEC+ hat unter der Führung von Saudi-Arabien eine überraschende Drosselung der Erdölförderung angekündigt. Damit dürfte die Zeit tendenziell fallender Ölpreise vorerst zu Ende sein«, kann man dieser Meldung entnehmen: OPEC+ kürzt überraschend die Produktion. Schauen wir einmal genauer hin:

Saudi-Arabien und andere Mitgliedsländer des Ölverbunds OPEC+ wollen überraschend die Ölproduktion drosseln. Von Mai an dürfte die Produktion damit um rund eine Million Barrel (je 159 Liter) pro Tag niedriger ausfallen. Saudi-Arabien führt das Kartell mit einer Förderkürzung von 500.000 Barrel pro Tag an.

Das saudische Energieministerium erklärte, es handele sich um eine „freiwillige Kürzung“. Die Maßnahmen zielten darauf ab, den Ölmarkt zu stabilisieren.

Andere Mitglieder wie Kuwait, die Vereinigten Arabischen Emirate und Algerien folgten dem Beispiel, während Russland seine Produktionskürzung bis Ende 2023 fortsetzen will. Diese Kürzung war im März in Kraft getreten und sollte eigentlich Ende Juni auslaufen.

Damit dürften von Mai an rund eine Million Barrel Rohöl pro Tag weniger auf den Markt strömen als bisher erwartet. Ab Juli sind es dann mehr als eineinhalb Millionen Barrel weniger als bisher gedacht, da ab diesem Zeitpunkt die verlängerte Kürzung Russlands hinzukommt. Die Welt muss damit ab Mitte des Jahres mit deutlich weniger Erdöl aus Ländern des Kartells auskommen.

Überraschend kommt der jetzige Schritt nicht nur, weil Änderungen in der Produktion normalerweise nach fest terminierten Beratungen stattfinden. Auch hatten die OPEC-Staaten bis zuletzt eine konstante Förderung signalisiert. So hatte etwa der saudische Energieminister Abdulaziz bin Salman noch vor wenigen Wochen gesagt, das Produktionsziel der OPEC+ solle bis Ende des Jahres beibehalten werden.

In den vergangenen Wochen hatten die Ölpreise tendenziell unter Druck gestanden. Im März waren sie auf den niedrigsten Stand seit Ende 2021 gefallen. Diese Preisentwicklung könnte eine Erklärung für die jetzige Förderkürzung sein.

Hintergrund der (bislang) fallenden Preise waren zum einen Rezessionsängste infolge des Ukraine-Kriegs und der starken Zinsanhebungen vieler Notenbanken. Hinzu kamen zuletzt die Turbulenzen im Bankensektor der USA und in Europa.

Was sind die Hintergründe für diesen Schritt?

»Der Öl-Verbund Opec plus kündigt unter der Führung Saudi-Arabiens eine überraschende Drosselung der Erdölförderung an. Ein Schritt, der sich gegen den Westen richtet.« So beginnt dieser Artikel:

➔ Dunja Ramadan (2023): Warum das Ölkartell den Hahn zudreht, in: Süddeutsche Zeitung, 04.04.2023

Überraschend kam die Neuigkeit, dass die Erdölförderung gekürzt werden soll, da der saudische Energieminister Abdulaziz bin Salman noch vor wenigen Wochen zugesichert hatte, das Produktionsziel der OPEC plus bis Ende des Jahres konstant zu halten.

Die Ankündigung Saudi-Arabiens ist auch als Affront gegen Washington zu verstehen, denn die Regierung von Joe Biden wertet Ölkürzungen als direkte Unterstützung Russlands im Ukrainekrieg. Die dadurch steigenden Preise bringen Russland mehr Geld ein. Russland ist nicht Mitglied der von Saudi-Arabien dominierten OPEC, führt aber die Gruppe von Staaten an, die ihre Fördermenge mit dem Kartell im Rahmen der OPEC plus absprechen. Russland teilte mit, die von März bis Juni geplante Produktionskürzung werde bis Ende 2023 ausgedehnt. Ab Juli muss die Welt also mit deutlich weniger Erdöl aus den Kartell-Staaten auskommen.

Neben der indirekten Unterstützung für Russland hat eine verringerte Förderung auch Auswirkungen auf die USA selbst. Die hohen Erdölpreise führen zu hohen Benzinpreisen, die mitverantwortlich sind für die hohe Inflation im Land. Allein die Produktionskürzungen könnten die US-Benzinpreise um 26 Cent pro Gallone in die Höhe treiben.

Die Ankündigung von OPEC plus kommt kurz nach weiteren überraschenden Nachrichten aus dem Königreich Saudi-Arabien:

➔ Erst die von China initiierte Annäherung zwischen den beiden rivalisierenden Regionalmächten Saudi-Arabien und Iran Mitte März

➔ und dann noch der Beitritt Riads in die Shanghai Cooperation Organization (SCO) als Dialogpartner vor wenigen Tagen. Jener Verbund, der als Gegengewicht zur Nato wahrgenommen wird und unter anderem aus Russland, China, Iran, Indien, Pakistan sowie vier zentralasiatischen Staaten besteht. Riad könnte in Zukunft auch die Vollmitgliedschaft gewährt werden.

Saudi-Arabien rückt damit außenpolitisch weiter nach Osten. Für China ist das – wenn auch vage formulierte – Versöhnungsabkommen zwischen Iran und Saudi-Arabien ein außenpolitischer Erfolg im Nahen Osten, einer Region, in der die USA zunehmend an Einfluss verliert. Und auch der SCO-Beitritt ist ein klares Signal an Washington: Saudi-Arabien konzentriert sich auf seine eigenen Wirtschafts- und Sicherheitsinteressen und scheut sich nicht, Washington zu brüskieren.

China ist mittlerweile Riads größter Handelspartner mit einem bilateralen Handel im Wert von 87,3 Milliarden US-Dollar im Jahr 2021. Erst vor wenigen Tagen stärkte Saudi-Arabien mit einem 3,6-Milliarden-Dollar-Deal seine Energiebeziehungen zu China, Riad kaufte zehn Prozent des chinesischen Unternehmens Rongsheng Petrochemical und wird dieses künftig mit 480 000 Barrel Rohöl pro Tag beliefern. Auch ist der gemeinsame Bau eines großen integrierten Raffinerie- und petrochemischen Komplexes im Nordosten Chinas geplant.
All dies macht deutlich: Das Königreich will seine globalen Partnerschaften diversifizieren, anstatt sich auf eine Seite zu schlagen, in einer Welt, in der die Rivalität der USA mit China und Russland zunimmt.

Während das vergangene Jahr für die USA und Europa wegen des Ukrainekriegs voller wirtschaftlicher und politischer Herausforderungen war, ließen die hohen Rohstoffpreise Saudi-Arabiens 2022 zu einem sehr profitablen Jahr werden. Für 2022 hat der Ölkonzern Aramco, das mittlerweile wertvollste Unternehmen der Welt, einen Rekordgewinn erzielt. Der Überschuss beträgt rund 161 Milliarden US-Dollar, im Vergleich zum Vorjahr ein Zuwachs von etwa 46 Prozent.

Und auch politisch nutzte Saudi-Arabien als größter Erdölexporteur der Welt die Gunst der Stunde für sich. Kaum ein westlicher Regierungschef machte Mohammed bin Salman, dem saudischen Kronprinzen und Premier, nicht seine Aufwartung, in der Hoffnung auf höhere Ölforderungen. Diese Hoffnung ist gerade mal wieder enttäuscht worden.

China, immer wieder dieses China. Wir hatten das schon kurz in der Einführungsveranstaltung angesprochen. Es wird Ihnen immer wieder begegnen, in meiner Vorlesung, aber auch in den hoffentlich vielen Jahren, die noch vor Ihnen liegen.