Von wegen nur Klingelbeutel: Die beiden großen christlichen Kirchen in Deutschland, die Kirchensteuer und andere Steuermittel

Ich hatte Ihnen am Anfang der letzten Vorlesung zwei aktuelle Presseartikel zu zwei scheinbar überhaupt nicht zusammenhängenden Themen zur Verfügung gestellt. Zum einen der Beitrag Was mit der Sparkassen-Filiale alles wegfällt, in dem Filialschließungen und der Abbau von Bankautomaten am Beispiel von Brandenburg beschrieben wurden, zum anderen den Artikel Kirchen müssen viele Gebäude aufgeben, dem Sie entnehmen können, dass die beiden großen christlichen Kirchen, also die evangelische und die katholische Kirche, in den kommenden Jahren zahlreiche Immobilien werden abstoßen müssen. Wir haben dann über Gemeinsamkeiten der beiden scheinbar unverbunden nebeneinander stehenden Beispiele gesprochen und das mit der Begrifflichkeit von Angebot und Nachfrage einzuordnen versucht.

In diesem Zusammenhang haben Sie lernen dürfen, dass es in Deutschland ein für die beiden genannten Kirchen sehr angenehmes und vorteilhaftes System gibt: die Kirchensteuer, die von den Finanzämtern direkt an der Quelle für die Kirchen eingezogen wird. Und da geht es, wie Sie schon dem Artikel entnommen haben, wahrlich nicht um Peanuts: »2021 hatten die katholischen Bistümer rund 6,73 Milliarden Euro aus Kirchensteuern eingenommen. Die evangelischen Landeskirchen kamen auf 5,99 Milliarden. Vor wenigen Wochen hatte das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) Berechnungen vorgelegt, denen zufolge die Einnahmen aus der Kirchensteuer zwar bis 2027 nominal auf 14,4 Milliarden Euro steigen dürften. Doch wegen der Inflation werde der faktische Wert dieser Einnahmen deutlich auf 11,3 Milliarden Euro sinken.«

Ich habe Ihnen die Einnahmen der beiden Kirchen aus der Kirchensteuer mal mit Blick auf die zurückliegenden Jahre in dieser Abbildung dargestellt:

Die in dem Artikel angesprochene Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln finden Sie hier:

➔ Tobias Hentze (2023): Kirchensteuer. Austrittswelle hinterlässt immer größere Spuren. IW-Kurzbericht Nr. 26/2023, Köln: Institut der deutschen Wirtschaft (IW), April 2023
»Die Kirchensteuereinnahmen haben sich in Deutschland in den Jahren 2020 bis 2022 zwar besser entwickelt als noch zu Beginn der Corona-Krise prognostiziert. Knapp 13 Milliarden Euro betrug das Aufkommen im Jahr 2022. Doch der anhaltende Mitgliederschwund stellt die Kirchen zunehmend vor finanzielle Herausforderungen. Kaufkraftbereinigt sinken die Steuereinnahmen bis zum Jahr 2027.«

Aber Sie haben durch meine Erläuterungen auch gelernt, dass es nicht nur die Kirchensteuer gibt, die von den Kirchenmitgliedern gezahlt werden muss, die über entsprechende Einnahmen verfügen, dem man sich beispielsweise durch Austritt aus der Kirche entziehen kann.

Sondern darüber hinaus bekommen die beiden großen christlichen Kirchen in erheblichen Umfang Steuermittel aus dem allgemeinen Steueraufkommen, mit denen die beispielsweise der Gehälter der Bischöfe und anderer Funktionsträger bezahlen. Und diese Steuermittel werden auch von denen aufgebracht, die mit den Kirchen nichts am Hut haben oder die sogar überzeugte Atheisten sind. Und auch hier geht es nicht um Klecker-Beträge, sondern wir sprechen hier über Steuermittel in einer dreistelligen Millionen-Höhe, Jahr für Jahr.

Und die Begründung für diese millionenschweren Zahlungen, die da jährlich geleistet werden, ist wahrlich ein ganz alter Zopf. Dazu dieser Beitrag: Warum bekommt die Kirche Millionen vom Staat? (18.04.2023): »Staat und Kirche sind in Deutschland getrennt. Trotzdem zahlt der deutsche Staat jährlich mehr als 500 Millionen Euro an die Kirchen. Was hat es mit den Staatsleistungen auf sich – und warum ist es so schwer, sie abzuschaffen?«

»Diese Zahlungen werden oft kritisiert. Die Staatsleistungen abzuschaffen ist Verfassungsauftrag – und so gut wie alle Parteien sprechen sich dafür aus. Die Ampelkoalition hat die Aufgabe außerdem in ihrem Koalitionsvertrag festgehalten und ist darüber im Gespräch mit Kirchen und den Ländern. Aber die Beendigung der Zahlungen ist schwieriger, als man vermuten könnte – und hat mit lange zurückliegenden Verflechtungen von Staat und Kirche zu tun.«

Lesen wir weiter – ich hatte Ihnen ja schon den Hinweis gegeben, dass wir, um das zu verstehen, ganz weit nach hinten schauen müssen:

»Der Grund dafür liegt über 200 Jahre zurück und lässt sich nur mit ein wenig „Geschichtsunterricht“ erklären: Am 25. Februar 1803 kommen in Regensburg die Reichsstände zusammen, um eines der letzten Gesetze des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation zu beschließen: den Reichsdeputationshauptschluss.
In den Napoleonischen Kriegen waren die linksrheinischen Territorien des Reiches an Frankreich gefallen. Insbesondere Preußen, Bayern, Baden-Württemberg erlitten Gebietsverluste. Dafür verlangten die betroffenen Fürsten Entschädigung. Da fällt der Blick der Reichsstände auf das gigantische Vermögen der Kirchen. Ländereien der Kirchen werden enteignet und den Fürsten zugeschlagen, die linksrheinische Verluste hinzunehmen hatten. Säkularisation wird diese Enteignung der Kirchen genannt. Dadurch „entgingen den Kirchen hohe Vermögenswerte und Einnahmen, und dadurch entstand eine finanzielle Notlage“, sagt der Jurist Hans Hofmann.
Denn die Kirchen hatten viele ihrer Kosten bisher über Einnahmen aus den Ländereien beglichen – und verlangten nun ihrerseits Entschädigungen. „Zum Ausgleich hat der Staat die Finanzierung der Pfarrer und auch sonst eine Reihe von Leistungen übernommen. Das ist die entscheidende Ursache dafür, dass es heute diese Staatsleistungen gibt“, so Claus Dieter Classen, Professor für Öffentliches Recht an der Universität Greifswald.«

Dass alle Steuerpflichtigen an die Kirche zahlen, egal, ob sie Mitglied einer Kirche sind oder nicht, stört viele. Einige versuchen eine Art Rechtfertigung:

»Jurist Hans Hofmann … betont, dass die finanziellen Vereinbarungen damals ja nur aufgrund der Trennung von Staat und Kirche entstanden seien – und verweist auf karitative Leistungen, die die Kirche wiederum übernimmt und die sonst im Aufgabenbereich des Staates liegen würden. „Wir haben in Deutschland eine kooperative, freundliche Trennung, wie man sie nennt, anders als etwa in Frankreich, wo man von einer feindlichen Trennung spricht, und dieses Model der kooperativen Trennung funktioniert gut in Deutschland. Es hat das Verhältnis zwischen Staat und Kirchen weitgehend befriedet.“«

Dabei hätte das schon seit langem beendet werden sollen:

»Das Ziel, die Staatsleistungen abzuschaffen, gibt es schon lange. Und nicht nur das: Es ist sogar erklärtes Verfassungsziel. Das kam so:
Bei der Verabschiedung der Weimarer Reichsverfassung 1919 wurde das Vorhaben im Artikel 138 festgeschrieben. Dort heißt es: „Die auf Gesetz, Vertrag oder besonderen Rechtstiteln beruhenden Staatsleistungen an die Religionsgesellschaften werden durch die Landesgesetzgebung abgelöst. Die Grundsätze hierfür stellt das Reich auf.“
Passiert ist aber nichts. Stattdessen wurde der Verfassungsartikel bei der Verabschiedung des Grundgesetzes 1949 einfach übernommen und weitergezahlt.«

Bis heute.

Fachleute sind sich weitgehend einig, dass die Kirchen mittlerweile reichlich überkompensiert wurden – beispielsweise der Staatsrechtler Bodo Pieroth. Er verweist auf ein Sachverständigengutachten in der letzten Legislaturperiode. Das „ging davon aus, dass die Kirchen bei angenommener dreiprozentiger jährlicher Verzinsung über die letzten 100 Jahre das 194-Fache erhalten haben“.

Immer wieder gab es auch Initiativen für eine Ablösung und Beendigung der Zahlungen, zum Beispiel 2012 durch die Linksfraktion im Bundestag, 2020 durch die Linke, die Grünen und die FDP.

»Auch die Ampelkoalition möchte die Zahlungen beenden, hat das Vorhaben in ihrem Koalitionsvertrag festgeschrieben und Gespräche zwischen den Parteien angestoßen. Aber ihr bisheriger Vorschlag dazu stößt bei den Ländern auf Widerstand. Viel zu teuer, sagen sie. Denn auch wenn der Bund beschließt, die Länder müssen zahlen – und eine Einigung könnte erst einmal Geld kosten. Der Knackpunkt ist also die sogenannte Ablösesumme.«

Über was für eine Summe reden wir da möglicherweise?

Eine Zahl, die als Ablösesumme im Raum steht und diskutiert wird, sind zehn Milliarden Euro oder mehr. Diese Summe würde dem 18,6-fachen der bisherigen jährlichen Zahlungen entsprechen. Diesen Faktor hatte auch der in der letzten Legislaturperiode von FDP, Grünen und Linken vorgelegte Gesetzentwurf vorgesehen, der aber letztlich gescheitert war.

Viel zu viel, sagen die betroffenen Bundesländer und lassen wenig Verhandlungsbereitschaft erkennen: Alle seien sich einig, „dass auf den aktuellen Vorhaben zur Ablösung der Staatsleistungen kein Segen liegt“, sagt der Leiter der niedersächsischen Staatskanzlei, Jörg Mielke.«

Amen.