Erinnern Sie sich, als ich Ihnen in einer der vergangenen Vorlesungen davon berichtet habe, dass die bei manchen beliebten, bei anderen eher mit großer Distanz betrachteten Nordsee-Krabben, die dann als „frische Krabben“ an der Küste unter die Leute gebracht und in Brötchen oder auf einem dieser Fisch-Teller verspeist werden, schon eine echt lange Zeit nach dem Fang auf Weiterreise verbracht haben, bevor sie auf einem Krabbenbrötchen & Co. landen. Der eine oder andere wird es sicher im ersten Moment für einen schlechten Witz gehalten haben, als Ihr Dozent ausgeführt hat, dass die in der Nordsee gefangenen Krabben zum Pulen nach Marokko transportiert und dann von dort aus wieder zurück. Dem war und ist tatsächlich so seit vielen Jahren.
Um nur ein Beispiel aus der langjährigen Berichterstattung zu nennen, kann man in diesem im Oktober 2015 veröffentlichten Artikel schauen: Die lange Reise der Krabben nach Marokko und zurück, so ist der überschrieben. Dort kann man lesen: »Gerade mal knapp fünf Prozent des Garnelenfangs wird nach Angaben der Erzeugergemeinschaft der Krabbenfischer direkt in Deutschland geschält. Die Hauptfangmenge gelangt auf 6000 Kilometer weiten Transportwegen nach Marokko und wieder zurück. In der nordafrikanischen Stadt Tétouan werden die Tierchen aus dem hohen Norden von Frauenhand gepult – viel schneller, als Maschinen es könnten, und preiswerter noch dazu … In der marokkanischen Stadt sind mehr als 1000 Frauen im Einsatz, die Nordseekrabben per Hand zu schälen. Sie erhalten dafür einen Monatslohn, der umgerechnet bei unter 200 Euro liegt.«
Von einem „Transportwahnsinn“ spricht die Geographie-Professorin Beate M.W. Ratter aus Hamburg. Und schon damals taucht ein interessanter Hinweis auf: »Dass die Branche noch immer auf solche Arbeitskräfte angewiesen ist, liegt nicht nur an den dort niedrigen Arbeitskosten. Bislang gebe es noch keine konkurrenzfähige Krabbenschälmaschine.« Wie dem auch sei: »Wenn Produkte wie „Büsumer Krabben“ durch Europa bis nach Nordafrika transportiert werden, könne nicht mehr von einem regionalen Produkt gesprochen werden«, bemängelten die Verbraucherschützer.
Gibt es Hoffnung auf in Deutschland gepulte Nordseekrabben?
Hier geht es um die Frage, ob man nicht in Zukunft die Verarbeitung dieser Meeresbewohner (wieder) vor Ort durchführen könnte. Und dazu wurde vor wenigen Tagen diese Meldung abgesetzt, die eine solche Hoffnung durchaus realistisch erscheinen lässt:
»Noch landen Krabben zum Pulen bislang vor allem in Marokko. Forscher aus Bremerhaven tüfteln aber aktuell an einer Maschine, die den Markt revolutionieren könnte.« So beginnt der Artikel Ist das Pulen der Nordsee-Krabben in Marokko bald vorbei? von Sonja Harbers, der am 15. Mai 2023 veröffentlicht wurde: »2,3 Millionen Euro hat das Land Niedersachsen im vergangenen Jahr locker gemacht, um die heimische Krabbenfischerei langfristig zu sichern … Ein Teil des niedersächsischen Forschungsprojektes beinhaltet die bereits seit Jahren geplante Entwicklung des Prototyps einer Krabbenpulmaschine mit Ultraschall-Technik. Federführend in dem Projekt ist das Thünen-Institut für Seefischerei in Bremerhaven.« Man sei „mitten in der heißen Phase des Projektes“, allerdings wird darauf hingewiesen: »Eine fertige Maschine gibt es aber noch nicht.« Und dann erfahren wir, dass das alles natürlich auch ein ökonomisches Thema ist: »Die Forscher lassen aktuell nicht nur den Prototypen der Maschine entwickeln, sondern analysieren unter anderem auch, wie wirtschaftlich das Gerät ist. Sie wollen herausfinden, ob der Einsatz der Ultraschall-Anlage billiger für die Krabbenfischer ist als das Pulen durch unterbezahlte Marokkanerinnen. Dafür sammeln sie neben Daten zur Maschine, wie etwa Materialkosten und Schälvolumen, unter anderem jede Menge Informationen über die Arbeitsabläufe und Kosten der Krabbenfischer.« Das Forschungsprojekt läuft noch bis November kommenden Jahres und man rechnet damit, dass es am Ende einen Prototypen einer Krabbenschälmaschine geben wird. Und dann tauchen auch wieder Grundbegriffe der Ökonomen auf, die Sie hier schon kennen gelernt haben – wie beispielsweise die Skaleneffekte, also die „economies of scale“: »Wahrscheinlich rechne sich die Anschaffung nicht für einen einzelnen Krabbenfischer … sondern eher für Schälzentren.«
Und was hat das jetzt alles mit den Cashew-Kernen zu tun, von denen viele gerne naschen?
Ich möchte Sie bitten, sich dieses Video des Wirtschaftsmagazins „Makro“ (3sat) anzuschauen – sie werden dort einiges erfahren, das sie zum einen mit Begriffen, die Sie bei mir bereits behandelt haben, besser einordnen können (denken Sie beispielsweise an Externalitäten, hier negative externe Effekte), zum anderen tauchen wir ein in ein Anwendungsbeispiel für so große Themen wie Globalisierung, internationale Arbeitsteilung, Außenhandel usw., die wir noch intensiv behandeln werden müssen:
➔ Makro: Cashew und Co. – Genuss mit Beigeschmack (02.05.2023)
Nüsse gelten als kerngesund. Doch die Arbeitsbedingungen in Anbauländern und weite Transportwege weltweit verursachen dramatische Gesundheitsprobleme und Umweltschäden. Die weltweite Produktion von Wal- und Haselnüssen, Peanuts und Pinienkernen ist ein Milliardengeschäft. Die Folgekosten des hyperglobalisierten Geschäfts sind aber gewaltig. Das zeigt vor allem das Beispiel der Cashewkerne: Sie werden häufig an der Elfenbeinküste angebaut. Über 90 Prozent der weltweiten Ernte werden jedoch in Vietnam oder Indien weiterverarbeitet. Cashews im deutschen Supermarkt haben so oft schon knapp 23.000 Seemeilen hinter sich. Auch die soziale Situation bei der Verarbeitung ist prekär: Den Arbeiterinnen fehlt häufig Schutzkleidung. Dabei ist das Schalenöl der Cashew hochgiftig: Ein kleiner Spritzer reicht aus, um bei Hautkontakt starke Verätzungen hervorzurufen. Gelangt es in den Körper, kommt es zu schweren Nervenerkrankungen. Über den Ursprung erfahren Verbraucher meist wenig. Ungeschälte Haselnüsse, Walnüsse oder Mandeln sind zwar kennzeichnungspflichtig; gehackt, geschält oder gemahlen können sie dagegen ohne Angaben verkauft werden. Mehr als fünf Kilogramm Schalenobst verzehren die Deutschen pro Kopf und Jahr. Es ginge auch ohne globale Lieferketten. Wal- und Haselnüsse wachsen schließlich in Mitteleuropa. Doch ein konventioneller Anbau findet in Deutschland bislang kaum statt. Es fehle der politische Wille, beklagen Nussbauern. So stillen die Lust auf Nüsse hierzulande meist Lieferungen aus China oder der Türkei.