Der „Produktlebenszyklus“, das Marktphasenmodell und die ganz eigene Welt der Preisbildung bei Arzneimitteln

Viele Güter durchlaufen eine Art „Lebenszyklus“. Das Marktphasenmodell verknüpft diesen Produktlebenszyklus mit den einzelnen Marktformen. Die wettbewerbspolitische Bedeutung der Marktphasentheorie liegt vor allem darin, die vorübergehende Monopolstellung des Innovators, des „Pionierunternehmers“, als „Belohnung“ für Risiko und Einführung technischen Fortschritts zu honorieren, gleichzeitig aber auch durch Offenheit der Märkte zu gewährleisten, dass nach einer bestimmten Zeit Konkurrenz auftritt und eine übermäßige Ausnutzung der Monopolstellung verhindert.

Ich hatte Sie auf das Beispiel der Pharmaindustrie aufmerksam gemacht. Dort gibt es staatlich vorgegebene Schutzzeiten für ein neues Medikament/einen neuen Wirkstoff, die es dem Innovator ermöglichen, „Monopolrenten“ zu erwirtschaften, da er befristet der einzige Anbieter auf dem Markt ist und vor Konkurrenz geschützt wird. Nach Auslaufen der Schutzfrist können andere Unternehmen das Medikament/den Wirkstoff kopieren. Deren Produkte kommen dann als „Generika“ auf dem Markt. Ein Beispiel für ein Originalpräparat wäre Aspirin (Bayer), das mittlerweile vielfach kopiert wird (z.B. ASS Ratiopharm). Das wichtigste Instrument, um einen zeitlich befristeten Schutz vor Nachahmung zu gewährleisten, ist der Patentschutz. Patente haben ganz allgemein zwei Funktionen: Zum einen machen sie Erfindungen allgemein zugänglich; denn die Patentschriften, in denen sie beschrieben sind, werden veröffentlicht. Zum anderen schützen sie deren wirtschaftliche Nutzung für eine gesetzlich festgelegte Zeit vor Nachahmung – zu Gunsten der Firma, die die Erforschung und Entwicklung finanziert und durchgeführt hat. Diese Zeit beträgt weltweit einheitlich 20 Jahre, wobei für Einnahmen mit Produkten, die auf dem Patent beruhen, allerdings nur ein Teil der Zeit bleibt; denn von der patentierten Erfindung bis zum marktfähigen Produkt vergehen meist viele Jahre; gerade im Fall von Medikamenten, die erst in Studien erprobt und in einem in der Regel 12- bis 16-monatigen Zulassungsverfahren geprüft werden müssen. Dass etwas patentiert ist, bedeutet nicht automatisch, dass nur der Patentinhaber selbst damit arbeiten kann. Denn mit dessen Zustimmung können auch andere Hersteller das Patent nutzen – typischerweise unter Zahlung von Lizenzgebühren.

Von patentgeschützten Pillen und Ärzten, die ihr Essen selbst bezahlen

Im Marktphasenmodell gibt es den Hinweis auf den Innovator oder „Pionierunternehmer“, der anfangs eine Monopolstellung mit hohen Preisen und entsprechenden Gewinnen einnehmen kann. Dabei wird er seitens des Wirtschafts- und Rechtssystems geschützt durch Patente und Lizenzen.

➔ In München sitzt das Deutsche Patent- und Markenamt (DPMA). Bei denen findet man diese Hinweise zu den Begriffen: »Patente belohnen ihren Inhaber oder ihre Inhaberin durch ein befristetes und räumlich begrenztes Nutzungsmonopol. Sie erfüllen gleichzeitig eine wichtige Informationsfunktion: Die Veröffentlichung der Erfindung gibt Anreize für weitere Forschung und Entwicklung. Von dieser Innovationsförderung und dem Wissenszuwachs profitieren Erfinder und Verbraucher gleichermaßen … Das Patentportfolio einer Firma stellt einen wichtigen Eigentumswert dar und gibt Aufschluss über die innovative Kraft eines Unternehmens … Ein Patent entsteht nicht automatisch mit der Anmeldung beim Deutsche Patent- und Markenamt (DPMA). Erst muss die Erfindung das gesetzlich vorgeschriebene Prüfungsverfahren erfolgreich durchlaufen. Darin wird untersucht, ob der Gegenstand der Anmeldung für einen Fachmann neu ist, auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht und ob die Erfindung ausführbar offenbart sowie gewerblich anwendbar ist. Mit der Veröffentlichung der Patenterteilung im Patentblatt entsteht das Schutz- und Verbotsrecht des Patentinhabers. Ein erteiltes Patent wirkt maximal zwanzig Jahre lang, die mit dem Tag nach der Anmeldung beginnen. Es gibt jedoch Ausnahmen für Arznei- und Pflanzenschutzmittel.«

»Als Patentinhaber können Sie Ihre Erfindung selbst verwerten und sich eine exklusive Positionierung am Markt sichern. Sie sind in der Lage, Konkurrenten den Eintritt in ein bestimmtes Marktsegment zu erschweren oder sogar zu verbauen. Ihr Schutzrecht können Sie aber auch verkaufen, vererben oder eine Lizenz vergeben. Mit einer Lizenz überträgt der Patentinhaber einem anderen die Verwertung, im Gegenzug erhält er Lizenzgebühren.«

Da haben wir also den Zusammenhang, aber auch den Unterschied zwischen Patent und Lizenz.

Man muss sich die besondere Bedeutung wie auch die durchaus diskussionsbedürftigen Folgen des Patentschutzes im Bereich der Arzneimittelforschung und -entwicklung vor Augen führen. Für die Pharmaindustrie ist das höchst relevant: Hier gibt es staatlich vorgegebene Schutzzeiten für ein neues Medikament/einen neuen Wirkstoff, die es dem Innovator ermöglichen, „Monopolrenten“ zu erwirtschaften, da er befristet der einzige Anbieter auf dem Markt ist und vor Konkurrenz geschützt wird. Nach Auslaufen der Schutzfrist können andere Unternehmen das Medikament/den Wirkstoff kopieren. Deren Produkte kommen dann als „Generika“ auf dem Markt. Ein Beispiel für ein Originalpräparat wäre Aspirin (Bayer), das mittlerweile vielfach kopiert wird (z.B. ASS Ratiopharm). Patente schützen ein neues Medikament für eine gesetzlich festgelegte Zeit vor Nachahmung – zu Gunsten der Firma, die die Erforschung und Entwicklung finanziert und durchgeführt hat. Diese Zeit beträgt weltweit einheitlich 20 Jahre, wobei für Einnahmen mit Produkten, die auf dem Patent beruhen, allerdings nur ein Teil der Zeit bleibt; denn von der patentierten Erfindung bis zum marktfähigen Produkt vergehen meist viele Jahre; gerade im Fall von Medikamenten, die erst in Studien erprobt und in einem in der Regel 12- bis 16-monatigen Zulassungsverfahren geprüft werden müssen. So allgemein, so bekannt. Aber es lohnt ein genauerer Blick auf diesen Bereich:

➔ Hierzu das folgende Fallbeispiel: »100 Euro Produktions-, aber 43.500 Euro Therapiekosten: Bei den Preisen neuer Medikamente geht es allein um den Profit, kritisieren Ärzte. Die Preispolitik könnte das Gesundheitssystem bald unfinanzierbar machen.« So beginnt der Artikel „Medikamente immer teurer – Industrie am Pranger“ von Peter Thelen im Handelsblatt. Er berichtet darin von – wieder einmal – massiver Kritik an der Pharmaindustrie. Diesmal vorgetragen von MEZIS. Dieses Kürzel steht für „Mein Essen zahl ich selbst“. Dabei handelt es sich um eine 2006 entstanden Initiative von Ärzten, die nicht mehr mitmachen wollten bei der traditionellen Kooperation zwischen Ärzteschaft und der Pharmaindustrie. Die haben sich nun mit der Pharmaindustrie angelegt: »„Der gemeinsame Nenner der Pharmakonzerne ist der Profit. Der Preis eines Medikaments orientiert sich nicht an den Forschungskosten, schon gar nicht an den Produktionskosten, sondern allein am Marktwert“, sagt Christiane Fischer, ärztliche Geschäftsführerin von Mezis.« Die Medizinerin war von April 2012 bis April 2020 auch Mitglied des Deutschen Ethikrats. Auch Thomas Lempert, Chefarzt der Schlosspark-Klinik in Berlin und Mitglied des Fachausschusses für Transparenz und Unabhängigkeit in der Medizin in der Arzneimittelkommission der Deutschen Ärzteschaft. Lempert wirft der Industrie eine bewusst intransparente Preispolitik vor. „Es ist nicht Aufgabe der Versichertengemeinschaft, Profitmargen von 20 bis 30 Prozent und ausufernde Marketingetats zu finanzieren“, so Lempert.

„Zwischen den von den Herstellern festgelegten Preisen und den Entwicklungskosten für neue Medikamente besteht keinerlei Zusammenhang“, wird Thomas Meyer vom GKV-Spitzenverband zitiert. Dabei wäre das, wie jeder gute Ökonom lernt, ein entscheidender Punkt für eine Rechtfertigung der Patentschutzfristen für neue Medikamente, die den Herstellern ein temporäres Monopol zugestehen. Die daraus entstehende Monopolrente (vor allem, wenn der Hersteller in der Schutzfrist bei freier Preissetzung sehr hohe Verkaufspreise festlegen darf) kann als Kompensation und Anreiz für die Unternehmen angesehen werden, die in Forschung und Entwicklung investiert haben, die Risiken eingegangen sind, die erhebliche Vorfinanzierungen in Kauf nehmen mussten – und die sollen für einen begrenzten Zeitraum nicht um die Früchte ihres innovativen Tuns gebracht werden, in dem man die Kopisten eine Zeit lang von der Nutzung des neuen Medikaments ausschließt.

Dass die Hersteller hier ordentlich hinlangen, bestätigt beispielsweise auch der „Arzneiverordnungs-Report 2016“. Für den beobachteten Umsatzanstieg bei Arzneimittel sei, so die an dem Report beteiligten Wissenschaftler, festzustellen, dass »der maßgebliche Anteil der Umsatzsteigerung auf die hohen Kosten vor allem für Patent-Arzneimittel zurückzuführen (ist). Vor allem neue Arzneimittel kommen zu immer höheren Preisen auf den Markt. Diese Neueinführungen sind mit einem durchschnittlichen ungewichteten Packungspreis von 4.780,66 € mehr als doppelt so teuer wie die Arzneimittel im gesamten Patentmarkt. Zudem entfallen rund 70% des Nettokostenanstiegs im Gesamtmarkt auf Kostensteigerungen der fünf teuersten Arzneimittel im patentgeschützten Markt.« Die zehn teuersten Arzneimittel bei den Marktneueinführungen seien in der Apotheke 2015 teurer als 16.000 Euro pro Packung gewesen. Das teuerste Mittel kostete 99.000 Euro pro Packung. Hier sind offensichtlich echte Mondpreise realisierbar.

Noch krasser werden natürlich die Differenzen zwischen den Produktionskosten und den Preisen, die von den monopolistisch agierenden Herstellern verlangt werden. Thomas Meyer zitiert als Beispiel ein Medikament, das gleich noch eine besondere Rolle spielen wird – das neue Medikament gegen Hepatitis C, Sofosbovir:

„Während die Jahrestherapiekosten pro Patient stolze 43.500 Euro betragen, belaufen sich bei diesem Medikament die Produktionskosten für den Patienten für ein Jahr lediglich auf 100 Euro.“

Der Verband der Forschenden Arzneimittelhersteller sieht das natürlich anders. „Neue Arzneimittel auf dem Markt haben nur rund zwölf Jahre Patentschutz. Danach kann jeder Hersteller sie produzieren. Diese Arzneimittel stehen dann zu sehr niedrigen Preisen weltweit zur Verfügung, was insbesondere vielen Schwellenländern hilft“, wird Verbandssprecher Jochen Stemmler zitiert.

Das bleibt nicht unwidersprochen.

»(Die) Ärzteinitiative „Mein Essen zahl ich selbst“ … macht sich in einem Memorandum sogar dafür stark, den Patentschutz einzuschränken. Das gegenwärtige Patentrecht begünstige hohe Medikamentenpreise, führe zu wettbewerbswidrigen Praktiken, Patentmissbrauch und falschen Anreizen für die Pharmaforschung. „Daher fordern wir frühen Marktzugang für und die breite Anwendung von Generika“ heißt es im Memorandum … Schließlich sollen die Unternehmen selbst „die Hosen herunter lassen“ und ihre Forschungs- und Entwicklungskosten offenlegen, einschließlich öffentlicher Zuwendungen in Form von Steuervergünstigungen oder staatlich finanzierter Grundlagenforschung. Die Initiative mutmaßt, dass dabei herauskommen könnte, dass echte Durchbrüche bei der Arzneimitteltherapie gar nicht aus den Labors der großen Konzerne, sondern aus den Universitäten und kleinen Start-up-Unternehmen kommen.«

Zahlen bitte: Was sagt der Arzneiverordnungs-Report 2021?

Im Arzneimittelbereich sprechen wir über richtig große Summen: »Die GKV-Arzneimittelausgaben stiegen 2020 auf mehr als 45 Milliarden Euro. Laut aktuellem Arzneiverordnungs-Report stieg insbesondere der Umsatz patentgeschützter Arzneimittel stark an, während die entsprechenden Verordnungen stagnierten.« So beginnt der Artikel Arzneiverordnungs-Report 2021: Patentarzneimittel im Fokus von André Haserück, der im Deutschen Ärzteblatt veröffentlicht wurde.

»Auf 45,579 Milliarden Euro – ein Plus von 2,216 Milliarden Euro beziehungsweise 5,1 Prozent – stiegen im Jahr 2020 die Arzneimittelausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV). Dieser Ausgabenposten belief sich somit auf immerhin 17,2 Prozent der gesamten Leistungsausgaben der GKV. Insbesondere die Ausgaben für patentgeschützte Arzneimittel sind laut den Daten der jüngst veröffentlichten aktuellen Ausgabe des Arzneiverordnungs-Reports mit mehr als 10 Prozent stark gestiegen. Bei einem Umsatz von 24,16 Milliarden Euro erreichten die patentgeschützten Arzneimittel 2020 einen Umsatzanteil am Gesamtmarkt von 45,2 Prozent. Dabei – dies betonen die Autoren des Arzneiverordnungs-Reports – veränderte sich das Verordnungsvolumen kaum.«

Wenn man sich die sogenannten „Tagestherapiekosten“ genauer anschaut, dann werde erkennbar, dass das „wesentliche Problem der Kostenentwicklung der Arzneimittel“ im Bereich der patentgeschützten Arzneimittel liege:

»Bei den patentgeschützten Arzneimitteln … lägen die Tagestherapiekosten mit nun acht Euro inzwischen fast 16-mal so hoch wie bei den Nichtpatentarzneimitteln (0,51 Euro). Noch deutlicher fällt der Unterschied zu den Generika aus: Hier kostete eine Tagestherapie durchschnittlich 0,35 Euro.«

➔ Und was sagt der Arzneiverordnungs-Report 2023? Der wurde Anfang 2024 veröffentlicht. »Die Arzneimittelausgaben in Deutschland sind im Jahr 2022 weiter angestiegen: um 5,2 Prozent auf 52,9 Milliarden Euro. Nach den Kosten für die Krankenhäuser (88,1 Milliarden Euro) nehmen sie damit den zweitgrößten Kostenblock innerhalb der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) ein.« So der Artikel über den neuen Report, der am 4. April 2024 unter der Überschrift Arzneimittelausgaben steigen wegen teurer neuer Präparate weiter an im Deutschen Ärzteblatt veröffentlicht wurde. Es geht hier also um richtig große Summen. Als Grund für die weiter wachsenden Ausgaben für Arzneimittel wird „der weiterhin anhaltende Anstieg der Preise für neue patentgeschützte Arzneimittel“ genannt.

➞ Patentgeschützte Arzneimittel sind seit vielen Jahren Hauptur­sache der steigenden GKV-Medikamentenausgaben. Ihre Gesamtumsätze sind von neun Milliarden Euro im Jahre 2001 auf 29 Milliarden Euro im Jahre 2022 gestiegen. Sie erreichen somit inzwi­schen einen Umsatzanteil am Gesamtmarkt von 51,7 Prozent. Bei den verordneten definierten Tagesdosen (Defined Daily Dose, DDD) nähmen die Patentarzneimittel dabei gerade einmal einen Anteil von 6,7 Prozent am Gesamtvolumen ein. Dementsprechend liegen die durch­schnittlichen DDD-Kosten 16-fach höher für die unter Patentschutz stehenden Arzneimittel im Vergleich zu den patentfreien Arzneimitteln. Die Gesamtzahl ärztlicher Verordnungen lag im Jahr 2022 bei 726 Millionen. Patentgeschützte Arzneimittel machten weniger als 50 Millionen Verordnungen aus. Seit dem Inkrafttreten des Preismoratoriums von 2010 sind Umsatzsteigerungen durch höhere Preise allein bei neu eingeführten Produkten möglich. Die pharmazeutischen Unternehmer haben auch 2022 diese Strategie konsequent verfolgt.

Die Politik steht vor der schwer zu lösenden Vereinbarkeitsaufgabe, zum einen ausreichend Anreize für forschende Arzneimittelunternehmen zu setzen, damit die im Wissen um die angesprochenen „Monopolrenten“ ins Risiko und in die Risikofinanzierung gehen, zum anderen aber müssen Mondpreise zu Lasten der Beitragszahler der Krankenversicherungen verhindert werden.