Wir haben bereits viel gesprochen über Monopole, über Marktmacht und den Missbrauch von Marktmacht bis hin zu den Besonderheiten, die wir in der Digitalökonomie beobachten müssen. In diesem Beitrag möchte ich Ihnen an einem Beispiel zeigen, wie das, was wir bereits behandelt haben, aufgegriffen wird und dessen Schlussfolgerungen weit über ökonomische Auswirkungen im engeren Sinne hinausreichen. Daran anschließend finden Sie einige ergänzende Erläuterungen von mir zu dem so wichtigen Begriff der „Plattformökonomie“. Der wird Ihnen an vielen Stellen immer wieder begegnen, so dass Sie unbedingt eine Vorstellung haben sollten, was man darunter versteht.
Es geht um den folgenden Beitrag:
➔ Thieß Petersen (2019): Wie die Digitalisierung die Marktwirtschaft untergräbt (07.05.2019)
„The winner takes it all“: Das Netz wird von einer Handvoll Firmen dominiert. Aber digitale Monopole sind nicht nur für den Verbraucher ärgerlich. Sie haben handfeste politische Konsequenzen, die eine Gefahr für die Demokratie sind – so beginnt Petersen seinen Beitrag.
»Eine zentrale Voraussetzung für eine funktionierende Marktwirtschaft ist das Fehlen von Marktmacht. Die voranschreitende Digitalisierung der Wirtschaft untergräbt dieses Charakteristikum der Marktwirtschaft allerdings – zumindest zum Teil. Es sind vor allem Besonderheiten bei der Kostenstruktur und bei den Eigenschaften von digitalen Gütern, die das Entstehen von Monopolen erleichtern. Als Resultat erhöhen Unternehmen, die als alleinige Anbieter agieren, ihre Gewinne dann zulasten der Verbraucher und der Beschäftigten.«
Petersen unterscheidet zwischen digitale Güter und Plattformmärkten:
➔ Zu den digitalen Gütern gehören vor allem Softwareprogramme, Inhalte (Musik, Filme, Texte etc.), Übertragungstechniken (E‑Mail, Internet etc.) sowie alle damit verbundenen Servicedienstleistungen.
➔ Bei digitalen Plattformmärkten handelt es sich um Plattformen, die Marktteilnehmer miteinander verbinden und Tauschaktivitäten ermöglichen, die sonst gar nicht oder nur zu viel höheren Kosten möglich wären.
Und was hat es mit den angeblichen Besonderheiten auf sich?
»Digitale Güter und die für ihre Übertragung erforderlichen Netzwerke zeichnen sich durch eine besondere Kostenstruktur aus. So ist die Bereitstellung von Netzen, wie z. B. von Telefon- oder Breitbandnetzen, mit sehr hohen Aufbaukosten verbunden. Gleiches gilt für die Entwicklung von Betriebssystemen und Anwendungssoftware. Dagegen ist die Vervielfältigung und Auslieferung eines Computerprogramms, eines Musikstücks oder eines Videos etwa über einen Download meistens sehr günstig, da hierbei nur geringe Zusatzkosten entstehen. Im Extremfall kann die Verbreitung digitaler Güter sogar ohne zusätzliche Kosten erfolgen. Der US-Ökonom Jeremy Rifkin spricht in diesem Kontext von einer „Null-Grenzkosten-Gesellschaft“.
Liegt diese Kostenkonstellation vor, sinken die Stückkosten bei einem Anstieg der produzierten Menge, weil sich die hohen Fixkosten auf viele Produkteinheiten verteilen. Dies bedeutet: Das Unternehmen, das die größte Menge anbietet, hat die geringsten Stückkosten und kann den Käufern deshalb den niedrigsten Preis anbieten. Früher oder später verdrängt dieses Unternehmen damit alle anderen Anbieter vom Markt.«
Und dann kommt das Größenargument, das Sie bereits kennengelernt haben (Stichwort: Metcalfe’s Law):
»Der Nutzen einer Plattform hängt maßgeblich von der Größe des Netzwerkes ab: Je mehr Teilnehmer etwa in einem Telefonnetz, einem sozialen Netzwerk oder einer Online-Tauschbörse aktiv sind, desto attraktiver ist es für andere Interessenten, sich diesem anzuschließen. Ein Beispiel: Nutzer wollen die Online-Plattform, auf der sie nach Möglichkeit alle Wohnungsangebote für einen Kurzurlaub finden – und nicht nur 30 Prozent davon.«
Das hat Folgen: »Bei dieser Form der Nutzenstiftung setzt sich folgerichtig der Anbieter durch, der die meisten Teilnehmer hat – und es kommt zum sogenannten „The winner takes it all“-Phänomen. Das Ergebnis ist erneut ein Monopol.«
Und dann macht er noch einen dritten Punkt, den Sie auch schon als Begrifflichkeit gelernt haben: Markteintrittsbarrieren bzw. Marktzutrittsschranken:
»Die Entstehung von Marktmacht wird auf digitalen Märkten schließlich noch dadurch gefördert, dass Unternehmen den Wechsel zu einem anderen Anbieter erschweren können. Wenn beispielsweise die Anmeldung bei einem Online-Händler sehr umfangreich ist und daher auch viel Zeit in Anspruch nimmt, wird ein Kunde bei seinem Händler bleiben, selbst wenn das gewünschte Produkt bei dem anderen Online-Anbieter billiger ist. Genauso wird ein Anwender seiner Software, deren Verständnis und Beherrschung ihm viel Zeit und Anstrengung abverlangt hat, treu bleiben, obwohl ein anderes Programm leistungsfähiger und kostengünstiger ist. Hohe Kosten eines Anbieterwechsels können so den Wechsel zu einem preiswerteren Produkt verhindern. Infolgedessen können sich neue Wettbewerber häufig nicht durchsetzen, obwohl sie bessere Angebote haben.«
Monopole sind nach Petersen aus mindestens fünf Gründen problematisch:
1.) Monopolistisch agierende Unternehmen können höhere Preise fordern, weil sie keine Konkurrenz fürchten müssen. Höhere Preise schmälern die Kaufkraft der Verbraucher und verringert deren Konsummöglichkeiten.
2.) Mithilfe von Big-Data-Algorithmen lässt sich bestimmen, wie hoch die Zahlungsbereitschaft eines potenziellen Käufers für ein bestimmtes Produkt ist. Wenn ein Monopolist Informationen über die maximale Zahlungsbereitschaft der einzelnen Kunden hat, kann er mit personalisierten Preisen arbeiten. Wer bereit ist, mehr als den Marktpreis zu bezahlen, muss dann auch tatsächlich mehr zahlen. Mit diesem Vorgehen erhöhen die Unternehmen ihren Gewinn zulasten der Verbraucher.
3.) Ein Monopolist verfügt auch als Nachfrager über eine Marktmacht, mit der er die Preise für Vorleistungen und die Löhne senken kann. Entsprechend gibt es Hinweise, dass das Aufkommen von Firmen wie Google, Apple, Amazon, Facebook und Uber auf die Löhne drückt.
4.) Ohne Konkurrenz gibt es keinen Zwang, die Qualität der Produkte zu verbessern und die Preise durch technologischen Fortschritt zu senken. Damit kommt der zentrale Vorteil der Marktwirtschaft für die Verbraucher – ein sich mit der Zeit verbesserndes Produktangebot zu geringeren Preisen – nicht mehr zustande.
5.) Wirtschaftliche Macht kann schließlich auch zu politischer Macht werden, denn Monopolfirmen sind als Arbeitgeber und Steuerzahler ein wichtiger Akteur. Damit steigt die Wahrscheinlichkeit, dass sich politische Entscheider verstärkt für diese Unternehmen und deren Partialinteressen einsetzen.
Was versteht man eigentlich unter „Plattformökonomie“?
Auch in der bisherigen VWL-Vorlesung ist Ihnen der Begriff der „Plattformökonomie“ begegnet. Beispielsweise bei der Auseinandersetzung mit Facebook & Co. und den Besonderheiten in der Digitalwirtschaft. Aber was genau wird darunter verstanden, wenn man von Plattformökonomie spricht?
Vorreiter in der Schaffung von Plattformmärkten waren B2C-Unternehmen. Mit diesem Kürzel meint man „Business-to-Consumer“-Unternehmen. Google, Facebook, Amazon, Uber oder Airbnb sind bekannte Beispiele. Die Plattformbetreiber haben es geschafft, eine sehr dominante Rolle auch gegenüber den anderen Marktparteien einzunehmen und wachsende Anteile der Wertschöpfung zu internalisieren. Aktuell stellen digitale Plattformen sechs der zehn wertvollsten Unternehmen der Welt und vier der fünf stärksten Marken.
Plattformbasierte Geschäftsmodelle beschreiben einen Wertschöpfungsansatz, der darauf basiert, dass über ein internetbasiertes Softwaresystem Anbieter und Käufer einer Leistung in Verbindung gebracht werden. Das internetbasierte Softwaresystem stellt für die Vermittlung und den Austausch der Leistung alle notwendigen Dienste (z. B. Webshop, Bewertungssystem, Bezahlsystem) zur Verfügung und minimiert so die Transaktionskosten beim Leistungsaustausch. Der Plattformbetreiber nimmt dabei die Rolle eines Intermediärsein. Er bestimmt die Spielregeln für den Leistungsaustausch auf der Plattform und schöpft Wert durch eine Umsatzbeteiligung an jedem einzelnen Leistungsaustausch, der stattfindet, sowie durch die Monetarisierung anfallender Nutzerdaten.
Diesen Annäherungsversuch an den Begriff „Plattformökonomie“ findet man in dieser Studie:
➔ Martin Schössler (2018): Plattformökonomie als Organisationsform zukünftiger Wertschöpfung. Chancen und Herausforderungen für den Standort Deutschland, Bonn: Friedrich-Ebert-Stiftung, 2018
Im Gegensatz zu traditionellen Wertschöpfungsansätzen beruhen plattformbasierte Geschäftsmodelle also nicht auf dem effizienten Einsatz klassischer Produktionsmittel wie Maschinen, Lagerhallen oder Arbeitskraft, um damit etwas herzustellen und zu verkaufen.
Plattformen bringen im Kern Kundengruppen zusammen, damit diese Geschäfte abschließen können. Die Nutzergruppen der Plattform sind also gewissermaßen die Produktionsmittel der Plattformunternehmen.«
➔ Da Plattformen sich gleichzeitig an mehrere Kundengruppen richten (z. B. Anbieter und Verbraucher), die sich gegenseitig beeinflussen, spricht man auch von zweiseitigen Märkten, die durch Plattformen bedient werden und an welchen Plattformen verdienen.
Schlösser (2018: 8 ff.) benennt einige Beispiele für Plattform-Unternehmen, die den meisten von Ihnen bekannt sein werden:
➔ Airbnb: Dass Unternehmen die Infrastruktur, über die sie Wertschöpfung erzeugen, nicht besitzen müssen, ist einem über das Geschäftsmodell von Airbnb leicht ersichtlich. Als
Plattformbetreiber bedient das 2007 gegründete Unternehmen aus San Francisco in zahlreichen Ländern die Bedürfnisse von Reisenden nach einer kostengünstigen, attraktiven Unterkunftsmöglichkeit. Um Vermarktung, Zertifizierung, Abrechnung und auch Versicherungsleistungen kümmert sich der Plattformbetreiber Airbnb, der hierfür verschiedene Arten von Gebühren erhebt. Interessant auch: Diversifikation betreibt Airbnb
heute über das Angebot hochwertiger Reiseerlebnisse. Oft als typisches Modell der Sharing Economyzugeordnet, hat Airbnb sich selbst stets konsequent als Plattform bezeichnet. Heute vermittelt Airbnb in direkter Konkurrenz zu den größten Hotelketten und Reiseunternehmen mehr Übernachtungen als diese, betreibt ein stark wachsendes Eventgeschäft und organisiert Gruppenreisen, gern in der neuen Premiumkategorie „AirBnB plus“.
➔ Tencent: Über 20 Jahre alt ist der chinesische Anbieter von „Internet- Mehrwertdiensten“ Tencent, bekannt geworden über die Plattform Weixin/WeChat mit ihren etwa 960 Millionen
täglichen Nutzern. Ursprünglich als Spieleplattform gegründet, bilden die heute von Tencent- Unternehmen etablierten Dienste auf Plattformen wie QQ, QZone, WePay und TenPay mit Kommunikations-, E-Commerce, Finanzdienstleistungen und Lieferdiensten wie Meituan Dianping den sozialen und kommerziellen Lebensmittelpunkt ihrer Teilnehmer in China. Tencent strebt die Ausweitung in internationale Märkte an, unter anderem mit WeGame in Konkurrenz zu der populären Gaming-Plattform Steam. Tencent ist zunächst als soziales Netzwerk gestartet und wurde dann um weitere auf Daten beruhende Geschäftsmodelle, mithin um „vertikale Elemente“, erweitert. Andernfalls würde das Geschäftsmodell des sozialen Netzwerks nur über den Anzeigenverkauf Einkünfte generieren. Was als Netzwerk begann, ist also zu einer umfassenden Plattform geraten, auf der sich neben Angeboten von Tencent, etwa in Form von Mikrokrediten oder Versicherungsleistungen, Hunderttausende von Kleinunternehmer in zahllosen Nischenmärkten versammeln. Der besondere Charakter von Tencents WeChat lässt sich am besten vielleicht so beschreiben: „WeChat ist alles zusammen: WhatsApp, Skype, Instagram und Facebook. Und … Amazon, Uber oder Lieferando“.
Sie werden in zahlreichen Branchen zunehmend auf Plattform-Anbieter treffen. So verkaufen Fluggesellschaften heute viele Flüge nicht mehr direkt, stattdessen läuft der Vertrieb über Plattformen wie Opodo oder Kayak.
Zusammenfassend mag dem einen oder dem anderen diese übersichtliche Beschreibung des Begriffs Plattformökonomie helfen:
