Mit illegalen Drogen werden in der EU schätzungsweise 31 Milliarden Euro Umsatz erzielt. Es handle sich damit um eine wichtige Einnahmequelle für die organisierte Kriminalität, heißt es in einem Bericht, der von der Europäischen Drogenagentur und der Polizeibehörde Europol veröffentlicht wurde und über den im Frühjahr 2024 berichtet wurde, beispielsweise in diesem Artikel: Drogenumschlagplatz Europa: Illegale Drogen in der EU erzielen jährlich 31 Milliarden Euro Umsatz: »Der europäische Rauschgifthandel erweist sich als krisenfest und innovativ. Marktanteile werden immer brutaler umkämpft. Das führt zu mehr Morden, Entführungen, Folter und Korruption.«
Von dem auf 31 Milliarden Euro geschätzten Umsatz entfallen laut Bericht 39 Prozent (12,1 Milliarden Euro) auf illegales Cannabis und 37 Prozent (11,6 Milliarden Euro) auf Kokain. Den Rest teilen sich Heroin (17 Prozent oder 5,2 Milliarden Euro), Amphetamine (5 Prozent oder 1,6 Milliarden Euro) und Ecstasy (2 Prozent oder 600 Millionen Euro).
Was hat das jetzt mit dem Thema „Umgehungsstrategien“ zu tun?
»2023 sorgten Rekord-Funde geschmuggelten Kokains in europäischen Seehäfen für Aufsehen. Recherchen zufolge erwartet das BKA für 2024 rückläufige Zahlen. Der Grund: Banden nutzen neue Methoden, mit denen das Kokain kaum noch aufspürbar ist«, so der Beitrag Neue Schmuggelmethoden, weniger Kokain-Funde von Sascha Adamek und Daniel Schmidthäussler. Dem kann man entnehmen:
Im vergangenen Jahr konnten Zoll und Polizei in Deutschland Rekordmengen an Kokain sicherstellen – vor allem im Hamburger Hafen. Für das laufende Jahr stellt sich das Bundeskriminalamt (BKA) jedoch auf deutlich geringere Beschlagnahmungen ein. „Die Sicherstellungszahlen gehen runter“, sagt Hans-Joachim Leon, Leiter der Drogenbekämpfung des BKA im Interview mit dem ARD-Politikmagazin Kontraste. Es zeichne sich ab, dass in den Häfen Rotterdam, Antwerpen und auch Hamburg die Sicherstellungsmengen niedriger ausfallen werden als im vergangenen Jahr. „Das spricht dafür, dass neue Wege genutzt werden, um das Kokain nach Europa zu bringen“, so Leon.
Für die Aussage des BKA sprechen Veröffentlichungen aus Belgien und den Niederlanden: Die beiden Haupteinfuhrhäfen für Kokain nach Europa, Antwerpen und Rotterdam, haben bereits einen drastischen Einbruch bei der Sicherstellung im ersten Halbjahr 2024 öffentlich gemacht.
➔ Der niederländische Zoll spricht von einem Rückgang von rund 40 Prozent. Nach 28 Tonnen im ersten Halbjahr 2023, sind es im selben Zeitraum 2024 nur noch 16 Tonnen. Die belgischen Behörden verzeichnen für den Vergleichszeitraum im Hafen von Antwerpen einen Rückgang von 43 auf 22 Tonnen, fast eine Halbierung der Menge.
Die geringeren Sicherstellungsmengen sollen jedoch keineswegs auf einen eingebrochenen Drogenschmuggel aus Südamerika zurückzuführen sein, sondern vielmehr auf die Anpassungsfähigkeit der transnationalen organisierten Kriminalität. Sowohl das Kokain-Angebot als auch der -Preis und auch die Reinheit der Drogen sind laut BKA weitgehend stabil geblieben.
Die Ermittlungsbehörden sind dabei offenbar Opfer ihres eigenen Erfolgs geworden. Die Täter reagierten auf die Maßnahmen der Strafverfolgungsbehörden, indem neue Wege genutzt würden, um das Kokain außerhalb des Container-Handels nach Europa zu bringen.
➔ Eine Möglichkeit sind sogenannte Drop-Offs. Bei dieser Methode wird das Kokain erst gar nicht mit dem Schiff in den Hafen gebracht, sondern vor der Küste abgeworfen und dann von Fischerbooten aufgesammelt. Eine riskante Methode, da das Verlust- und Entdeckungsrisiko dabei sehr hoch ist. Dass so die Mengen des „klassischen“ Container- Schmuggels erreicht werden könnten, ist jedoch unwahrscheinlich.
➔ Eine andere Möglichkeit bietet die chemische Umwandlung des Kokains vor der Verschiffung. So wurde Kokain schon in Holzpellets, Kohle oder sogar eingewaschen in Jeans gefunden. Das Kokain wird dabei chemisch so verändert, dass es quasi nur mit einem chemischen Schlüssel wieder zurückgewonnen werden könne, erklärt Leon. Dann sei es mit den derzeitigen Methoden kaum noch zu entdecken. Oder aber es wird gleich in den Grundstoffen nach Europa geliefert und erst hierzulande zu Kokain verarbeitet.
Angesichts des Verfolgungsdrucks durch die Sicherheitsbehörden in Südamerika wichen die Kartelle aus. Sie würden natürlich auch outsourcen, wie es jedes Großunternehmen auch machen würde, wenn es irgendwelche Probleme gibt im eigenen Land.
➔ Für die Täter habe das auch weitere Vorteile. Rivalisierende Banden hatten in der Vergangenheit häufiger geschmuggeltes Kokain nach der Lieferung in Deutschland entwendet. Wenn es jetzt in Form von Rohstoffen geliefert werde, sei die Gefahr des gegenseitigen Diebstahls geringer. Die Schmuggler hätten dann die Hand drauf, bis der Rohstoff in Kokain umgewandelt worden ist.
Das alles verweist auf eine neue ARD-Doku, die heute, am 31.10.2024, ausgestrahlt wird – die Sie aber schon in der Mediathek abrufen können:
➔ ARD: Der Kokainkrieg – Deutschland im Visier der Drogenkartelle (31.10.2024)
»Eine Serie von Bombenanschlägen erschüttert das Rheinland: Seit Monaten verbreiten rivalisierende Drogen-Banden Angst und Schrecken. Sie entführen, erpressen und foltern. Und sie nehmen den Tod von Unbeteiligten in Kauf. Die Behörden sind alarmiert und befürchten Verhältnisse wie in den Niederlanden. Dort haben Auftragskiller einen Journalisten ermordet, Richter und Staatsanwälte werden eingeschüchtert. Und selbst der Regierungschef geriet ins Visier der Kartelle. Für sie geht es um die Milliardengewinne, die der Handel mit Kokain verspricht. Es ist ein globaler Krieg, der in Europa tobt und den deutschen Staat herausfordert. KONTRASTE begleitet die BKA-Vizepräsidentin im Kampf gegen die Kartelle nach Südamerika, einen niederländischen Strafrechtsanwalt und Ermittler im Fadenkreuz einer gefährlichen Auseinandersetzung.«
Wenn man das – ziemlich zynisch daherkommend – als Ökonom zusammenfassen muss, dann könnte man auch sagen, dass es hier (auch) um „negative externe Effekte“ geht.
Und wer eher trocken, aber ganz seriös bekommen möchte und sich für dieses Thema aus der Schattenwelt weiterführend interessiert, dem sei der „European Drug Report 2024“ empfohlen (nein, das ist nicht klausurrelevant, sondern eine Gabe an die Interessierten …):
➔ European Drug Report 2024: Trends and Developments
»The purpose of the current report is to provide an overview and summary of the European drug situation up to the end of 2023. All grouping, aggregates and labels therefore reflect the situation based on the available data in 2023 in respect to the composition of the European Union and the countries participating in EMCDDA reporting exercises. However, not all data will cover the full period. Due to the time needed to compile and submit data, many of the annual national data sets included here are from the reference year January to December 2022. Analysis of trends is based only on those countries providing sufficient data to describe changes over the period specified. The reader should also be aware that monitoring patterns and trends in a hidden and stigmatised behaviour such as drug use is both practically and methodologically challenging. For this reason, multiple sources of data are used for the purposes of analysis in this report. Although considerable improvements can be noted, both nationally and in respect to what is possible to achieve in a European-level analysis, the methodological difficulties in this area must be acknowledged. Caution is therefore required in interpretation, in particular when countries are compared on any single measure.«
Nachtrag am 01.11.2024:
Ganz handfeste negative Effekte kann der Drogenkonsum für die einzelnen Konsumenten haben. Dazu dieser neue Beitrag: Starker Anstieg von Kokainmissbrauch: »Rund 65.000 Kokain-Konsumenten mussten im vergangenen Jahr in Deutschland medizinisch versorgt werden – dreimal mehr als noch 2013. Junge Männer sind laut Barmer-Krankenkasse besonders häufig betroffen.«
Die Zahl der Menschen, die wegen Kokainmissbrauchs ärztlich behandelt werden, hat sich innerhalb von zehn Jahren mehr als verdreifacht. So wurden im vergangenen Jahr in Deutschland etwa 65.000 Kokain-Konsumenten medizinisch versorgt. 2013 seien es noch 19.700 gewesen. Die leitende Medizinerin der Barmer-Krankenkasse, Ursula Marschall, sprach von einer alarmierenden Entwicklung. „Das wahre Ausmaß wird noch viel größer sein, da wir nur den Bruchteil der Betroffenen in ärztlicher Behandlung sehen.“
»Besonders betroffen sind der Untersuchung zufolge junge Männer zwischen 20 und 39 Jahren. Sie machten im vergangenen Jahr 29.700 der Fälle aus. In der Gruppe der 40- bis 59-jährigen Männer wurden 18.100 Patienten verzeichnet.«
»Zwar gibt es laut der Analyse in allen Bundesländern im Zehnjahresvergleich teils enorme Zuwächse. Es zeigen sich aber regionale Unterschiede beim Anstieg der Fallzahlen. In Sachsen haben sich die Patientenzahlen von 100 auf 980 beinahe verzehnfacht. Die geringste Steigerung lag in Hamburg mit einer Verdoppelung der Fallzahlen von 2.680 auf 5.500 vor.«