Da ist es, das Jahresgutachten 2024/25 der „fünf Wirtschaftsweisen“. Und auch die haben nach einem Blick in die Glaskugel Sorgenfalten im Gesicht

Ich hatte Ihnen das gestern in der Vorlesung bei der Einführung in die große, weite Welt der Makroökonomik bereits angekündigt, nun ist es geschehen: Der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung – umgangssprachlich als die „fünf Wirtschaftsweisen“ bezeichnet – haben heute ihr Jahresgutachten 2024/25 veröffentlicht, wie immer im November eines Jahres. Sofort wurde das in den Online-Medien aufgegriffen, beispielsweise unter dieser Überschrift: Wirtschaftsweisen erwarten nur geringes Wachstum. Immerhin wird da Wachstum erwartet, wird der eine oder andere von Ihnen denken, haben wir doch besprochen, dass im vergangenen Jahr 2023 die deutsche Wirtschaft gemessen am Bruttoinlandsprodukt (BIP) geschrumpft ist, um 0,3 Prozent. Und wurde nicht erst im „Herbstgutachten 2024“ der Wirtschaftsforschungsinstitute, das Ende September 2024 vorgelegt wurde, nicht auch für das noch laufende Jahr kein Wachstum, sondern ein erneuter Rückgang um 0,1 Prozent vorausgesagt? Schauen wir mal genauer in die Meldung:

»Die sogenannten Wirtschaftsweisen rechnen nach einem Rückgang des Bruttoinlandsprodukts dieses Jahr für 2025 nur mit geringem Wachstum der deutschen Wirtschaft. Der Sachverständigenrat senkte seine Prognose deutlich auf 0,4 Prozent.« Aufgepasst, das (überschaubare) Wachstum soll es also im kommenden Jahr geben. »Die deutsche Volkswirtschaft befinde sich weiterhin in der Stagnation, teilte der Sachverständigenrat in seinem Jahresgutachten mit.«

Also schauen wir mal in das Original, der Pressemitteilung des Gremiums zum neuen Jahresgutachten. Und da werden wir fündig, was das laufende Jahr angeht:

»Die deutsche Volkswirtschaft befindet sich weiterhin in der Stagnation: Die anhaltende Wachstumsschwäche legt nahe, dass die deutsche Wirtschaft von konjunkturellen wie auch von strukturellen Problemen ausgebremst wird.
Das deutsche BIP dürfte in diesem Jahr real um 0,1 % schrumpfen und im Jahr 2025 um 0,4 % wachsen.«

Also Widerspruch zum „Herbstgutachten 2024“, das wir gestern in der Vorlesung besprochen haben, denn da wurden ja auch schon -0,1 Prozent für 2024 in den Raum gestellt. Aber wie bereits die Wirtschaftsforschungsinstitute mussten auch die Wirtschaftsweisen ihre vor gar nicht so langer Zeit veröffentlichten Prognosen wieder revidieren (der Sachverständigenrat gibt seit einiger Zeit anders als früher nicht nur einmal im Jahr eine Prognose, sondern aktualisiert die im November getätigten Vorhersagen im Mai des Folgejahres):

➔ Im Mai 2024 hatte der fünfköpfige Rat noch ein Wachstum von 0,2 Prozent im Jahr 2024 und von 0,9 Prozent im Jahr 2025 erwartet. Nun wurden beide Werte nach unten revidiert, auf -0,1 Prozent für 2024 und 0,4 Prozent im kommenden Jahr 2025.

Lesen wir weiter, was uns die Wirtschaftsweisen mit auf den Weg geben:

»Das Bruttoinlandsprodukt ist in den vergangenen fünf Jahren real insgesamt lediglich um 0,1 Prozent gewachsen. Damit bleibt die wirtschaftliche Entwicklung Deutschlands im internationalen Vergleich weiter zurück. „Die Schwäche der Industrie und die Dauer der Schwächephase legen nahe, dass die deutsche Wirtschaft neben konjunkturellen auch von strukturellen Problemen ausgebremst wird“, erläutert Monika Schnitzer, Vorsitzende des Sachverständigenrates Wirtschaft. „In Deutschland gab es in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten Versäumnisse in der Politik und in der Wirtschaft.«

Und konkret zu den (Nicht- bzw. Mini-)Wachstumserwartungen die deutsche Volkswirtschaft betreffend erfahren wir:

»Der Sachverständigenrat erwartet, dass die deutsche Volkswirtschaft im Jahr 2024 stagnieren und sich erst im Verlauf des Jahres 2025 leicht erholen wird. Im laufenden Jahr sind Produktion und Wertschöpfung im Verarbeitenden Gewerbe zurückgegangen. Die Investitionen sind ebenfalls rückläufig. Gleichzeitig führt die Erholung der Weltwirtschaft nicht im bisher üblichen Maße zu einer Steigerung der Exporte. Die privaten Haushalte haben trotz deutlicher Reallohnzuwächse in den Jahren 2023 und 2024 ihren Konsum bisher nur wenig erhöht. Daher rechnet der Sachverständigenrat Wirtschaft für das Jahr 2024 mit einem Rückgang des preisbereinigten Bruttoinlandsproduktes (BIP) in Deutschland um 0,1 Prozent. Pessimistische Erwartungen über die weitere wirtschaftliche Entwicklung und eine Verlangsamung der Reallohnsteigerungen dürften dazu führen, dass die privaten Konsumausgaben auch im Jahr 2025 nur wenig steigen werden. Auch das BIP dürfte im kommenden Jahr mit 0,4 Prozent nur leicht wachsen. „Die deutsche Wirtschaftsleistung wird 2025 voraussichtlich auf einem ähnlichen Niveau wie vor der Corona-Krise liegen. Die wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland zeigt sich deutlich schwächer als in anderen fortgeschrittenen Volkswirtschaften“, erklärt Martin Werding, Mitglied im Sachverständigenrat Wirtschaft. In den USA liegt das BIP bereits heute um mehr als zwölf Prozent über dem Vor-Corona-Niveau, im Euro-Raum um gut vier Prozent.«

Sie können sich die Langfassung des Jahresgutachten (mit Anhang schlappe 397 Seiten) im Original hier herunterladen:

➔ Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung (2024): Versäumnisse angehen, entschlossen modernisieren. Jahresgutachten 2024/25, Wiesbaden, November 2024