Amazon ist ein ganz großer Player in der Plattformökonomie. Im Jahr 2022 hatte der Eigenhandel von Amazon einen Marktanteil von 17 Prozent. Aber das war nicht alles, denn der Marktanteil am Online-Handel insgesamt muss noch aufgestockt werden um weitere 39 Prozent, der über den Amazon Marketplace erwirtschaftet wurde. Insgesamt kommen wir also auf einen Marktanteil von 56 Prozent. Der übrige Onlinehandel und andere Marktplätze (wie beispielsweise eBay, Zalando, Otto und moebel.de) kamen im Jahr 2022 auf einen Anteil von 44 Prozent.
Auch das Bundeskartellamt hat sich zu Amazon zu Wort gemeldet: »Amazon ist der zentrale Spieler im E-Commerce und hat seine Angebote u.a. als Händler, Marktplatz, Streaming- und Cloud-Anbieter zu einem digitalen Ökosystem verbunden. Nach Einschätzung des Bundeskartellamtes wird mehr als jeder zweite Euro im deutschen Online-Einzelhandel auf der Amazon-Handelsplattform ausgegeben.« Und schon im Juli 2022 hat die Behörde dann diese Pressemitteilung veröffentlicht: Für Amazon gelten verschärfte Regeln – Bundeskartellamt stellt überragende marktübergreifende Bedeutung fest (§ 19a GWB). »Das Bundeskartellamt hat gestern entschieden, dass die Amazon.com Inc., Seattle, USA ein Unternehmen mit überragender marktübergreifender Bedeutung für den Wettbewerb ist. Damit unterfällt Amazon gemeinsam mit seinen Tochterunternehmen der erweiterten Missbrauchsaufsicht des § 19a GWB.« Was muss man sich nun darunter vorstellen?
»Die Vorschrift des § 19a GWB ist aufgrund einer Gesetzesänderung seit Januar 2021 in Kraft. Das Bundeskartellamt kann in einem zweistufigen Vorgehen Unternehmen, die eine überragende marktübergreifende Bedeutung für den Wettbewerb haben, wettbewerbsgefährdende Praktiken untersagen.«
Andreas Mundt, der Präsident des Bundeskartellamtes, wurde im Juli 2022 mit diesen Worten zitiert:
»Amazon ist der zentrale Schlüsselspieler im Bereich des E-Commerce. Die Angebote des Konzerns u.a. als Händler, Marktplatz, Streaming- und Cloud-Anbieter sind zu einem digitalen Ökosystem verbunden. Wir haben entschieden, dass der Konzern auch im kartellrechtlichen Sinne ein Unternehmen von überragender marktübergreifender Bedeutung für den Wettbewerb ist. Konkret bedeutet diese Entscheidung, dass wir bei Amazon mögliche wettbewerbsgefährdende Verhaltensweisen gezielt aufgreifen und unterbinden können, und zwar effektiver als das bisher der Fall war. Bei seinen Marktplatzdienstleistungen für Dritthändler halten wir Amazon für marktbeherrschend. Damit greift hier zusätzlich die parallel anwendbare klassische Missbrauchsaufsicht, auf deren Grundlage wir derzeit schon Verfahren gegen Amazon führen.«
Zu dem Unternehmen erfahren wir: »Amazon gehört mit weltweiten Umsatzerlösen von rund 400 Mrd. Euro im Jahr 2021, davon ca. 32 Mrd. Euro in Deutschland, zu den umsatzstärksten Unternehmen der Welt. Nach Einschätzung des Bundeskartellamtes wird mehr als jeder zweite Euro im deutschen Online-Einzelhandel auf der Amazon-Handelsplattform (amazon.de) ausgegeben. Neben der E-Commerce-Tätigkeit als Händler und Marktplatz gehören zu den Angeboten von Amazon an Endkunden auch digitale Inhalte (z.B. Filme, Serien oder Musik) im sog. Prime-Abonnement. Für Unternehmen – insb. Dritthändler – bietet Amazon neben den Marktplatzdienstleistungen weitere Dienstleistungen u.a. im Bereich Logistik, Werbung und Zahlungsabwicklung an. Im Bereich des Cloud-Computing gilt Amazon mit Amazon Web Services (AWS) mittlerweile als führend und erzielt dadurch einen Großteil seiner Konzerngewinne (so ca. 56 Prozent des Jahresüberschusses in 2021).«
Weiter führt das Bundeskartellamt aus: »Amazons überragende marktübergreifende Bedeutung für den Wettbewerb im Sinne des § 19a Abs. 1 GWB verschafft dem Unternehmen eine Machtposition, die ihm vom Wettbewerb nicht hinreichend kontrollierte marktübergreifende Verhaltensspielräume eröffnet.«
Konkret bedeutet das:
»Zunächst hat das Unternehmen durch die unter amazon.de betriebene Handelsplattform eine zentrale strategische Position im deutschen Online-Einzelhandel. Bei Marktplatzdienstleistungen für gewerbliche Händler in Deutschland verfügt Amazon über einen umsatzbezogenen Marktanteil von über 70 Prozent und ist damit nach Auffassung des Bundeskartellamtes marktbeherrschend. Die enorme Bedeutung der Amazon-Handelsplattform wird durch die eigene Einzelhandelstätigkeit auf der Plattform sogar noch verstärkt (sog. Hybridstruktur). Damit einher geht eine Regelsetzungsmacht, die erhebliche Einflussmöglichkeiten auf die Geschäftstätigkeit und den Geschäftserfolg anderer Unternehmen eröffnet. Das bedeutet, Amazon kann den Zugang anderer Unternehmen zu Absatz- und Beschaffungsmärkten kontrollieren und dabei seine Doppelrolle als Händler und Marktplatz ausspielen. Sein breites Portfolio an Geschäftstätigkeiten hat Amazon zu einem stark integrierten digitalen Ökosystem verbunden, das dazu beiträgt, Nutzergruppen im Ökosystem zu halten. Eine besondere Rolle spielt dabei das Prime-Abonnement, mit dem Endkunden neben einer versandkostenfreien Lieferung vielfältige weitere Dienstleistungen angeboten werden. Weltweit verfügen mehr als 200 Mio. registrierte Nutzerinnen und Nutzer über ein kostenpflichtiges Prime-Abonnement. Zudem verfügt Amazon über erhebliche Ressourcen wie wettbewerbsrelevante Daten und eine starke Finanzkraft.«
Gegen die mit dieser Einordnung verbundenen fünfjährige „besondere Missbrauchsaufsicht“ durch das Bundeskartellamt haben Amazon und eine deutsche Konzerngesellschaft Beschwerde mit dem Antrag eingelegt, den Beschluss aufzuheben.
Jetzt hat der Bundesgerichtshof (BGH) abschließend geurteilt.
Am 23. April 2024 hat der BGH die Pressemitteilung mit einer eindeutigen Überschrift herausgegeben: Bundesgerichtshof bestätigt Amazons überragende marktübergreifende Bedeutung für den Wettbewerb. »Der Kartellsenat des Bundesgerichtshofs hat heute die Feststellung des Bundeskartellamts bestätigt, dass Amazon eine überragende marktübergreifende Bedeutung für den Wettbewerb hat. Erstmals hat der Kartellsenat damit in erster und letzter Instanz über eine Beschwerde gegen eine Feststellung nach § 19a Abs. 1 GWB entschieden. Die am 19. Januar 2021 in Kraft getretene Regelung des § 19a GWB dient der Modernisierung und Stärkung der wettbewerbsrechtlichen Missbrauchsaufsicht. Sie sieht ein zweistufiges Verfahren vor. Danach kann das Bundeskartellamt in einem ersten Schritt die überragende marktübergreifende Bedeutung des Unternehmens für den Wettbewerb feststellen (§ 19a Abs. 1 GWB) und dem betroffenen Unternehmen in einem zweiten Schritt bestimmte Verhaltensweisen untersagen (§ 19a Abs. 2 GWB).«
Zur Entscheidung des BGH in der Causa Amazon
»Das Bundeskartellamt hat gemäß § 19a Abs. 1 GWB zu Recht festgestellt, dass Amazon in erheblichem Umfang auf mehrseitigen Märkten gemäß § 18 Abs. 3a GWB tätig ist und dem Konzern eine überragende marktübergreifende Bedeutung für den Wettbewerb zukommt.«
Dazu erläutert das Gericht:
»Die Feststellung der überragenden marktübergreifenden Bedeutung für den Wettbewerb setzt keine konkrete Wettbewerbsgefahr oder Wettbewerbsbeeinträchtigung voraus. Vielmehr reicht dafür das Vorliegen der strategischen und wettbewerblichen Möglichkeiten aus, deren abstraktes Gefährdungspotential durch die Vorschrift adressiert wird. § 19a Abs. 1 GWB soll dem Bundeskartellamt eine effektivere Kontrolle derjenigen großen Digitalunternehmen ermöglichen, deren Ressourcen und strategische Positionierung ihnen erlauben, erheblichen Einfluss auf die Geschäftstätigkeit Dritter zu nehmen, den Wettbewerbsprozess zum eigenen Vorteil zu verfälschen sowie ihre bestehende Marktmacht auf immer neue Märkte und Sektoren zu übertragen. Das Bundeskartellamt hat zutreffend festgestellt, dass Amazon über solche strategischen und wettbewerblichen Potentiale verfügt. Der Konzern ist auf einer Vielzahl von verschiedenen, vertikal integrierten und in vielfältiger und konglomerater Weise miteinander verbundenen Märkten tätig und hat eine marktbeherrschende Stellung auf dem deutschen Markt für Online-Marktplatzdienstleistungen für gewerbliche Händler. Er verfügt über eine überragende Finanzkraft und einen überragenden Zugang zu wettbewerbsrelevanten Daten wie etwa Kunden- und Nutzerdaten, Daten aus dem Betrieb der Handelsplattformen und Werbeplattformen und damit verbundenen Diensten sowie aus dem Betrieb von AWS. Amazon hat als Betreiber von zahlreichen nationalen Online-Marktplätzen weltweit und in Deutschland eine Schlüsselposition für den Zugang von Einzelhändlern zu ihren Absatzmärkten und kann erheblichen Einfluss auf die Vertriebstätigkeit von Dritthändlern ausüben.«
Derzeit behaupten einige, dass Amazon von einer ganz anderen Seite angegriffen wird
Kennen oder haben Sie „Temu“?
Seit die Shoppingplattform Temu vor einem Jahr in Deutschland aktiv wurde, hat sie viele neue Nutzer gewonnen.
Und manche Handelsexperten sehen in diesem chinesischen Anbieter eine für Amazon bedrohliche Konkurrenz am Horizont. So Gerrit Heinemann, der interviewt wurde unter der Überschrift „Temu ist ein potenzieller Amazon-Killer“. Temu hat in Deutschland schnell neue Nutzer gewonnen. Die erste Frage an den Experten: Wie wird sich die App in Zukunft entwickeln?
»Wenn man sich die Entwicklung in den USA anschaut, wo Temu bereits seit zwei Jahren aktiv ist, kennen 90 Prozent der Bürger diese Plattform, und 50 Prozent haben dort schon eingekauft. Bei uns in Deutschland wird es auch in diese Richtung gehen. Ich gehe davon aus, dass sich die Käuferzahl innerhalb des nächsten Jahres verdoppeln wird und noch lange nicht das Ende der Fahnenstange erreicht ist.«
Wie erklärt Heinemann den Erfolg der neuen Plattform?
»Temu versteht es zu vermarkten und betreibt in Kombination mit Künstlicher Intelligenz und Kundendaten Online-Marketing. Wenn ich zum Beispiel ein Produkt im Internet suche, dann werden mir immer automatisch Produkte von Temu angezeigt. Und genau das ist auch im Grunde das Geschäftsmodell von Temu. Denn die Shoppingplattform verdient nicht in erster Linie mit den Transaktionen, sondern mit der Vermarktung der Produkte Geld. Dadurch macht Temu mittlerweile gigantische Umsätze und ist vor allem auch enorm profitabel.«
Temu bietet immer wieder Rabattaktionen an. Nutzer können zum Beispiel Glücksräder drehen und sich dadurch zusätzlich Rabatte sichern. Dazu Heinemann:
»Den Onlinehandel gibt es mittlerweile seit 30 Jahren. Es ist also kein Geheimnis, dass die Kaufwahrscheinlichkeit höher ist und auch mehr gekauft wird, wenn Kunden lange in einem Onlineshop oder auf einer Plattform gehalten werden. Und genau das macht eben Temu exzellent über Glücksspiele und Videos, die da eingesetzt werden. Im Grunde ist das modernes Marketing. Experten nennen das eine „Multiexperience- Plattform“.
Und die niedrigen Preise? Sogar Produkte wie Waschmaschinen oder Staubsauger werden auf Temu für vergleichsweise wenig Geld angeboten. Wie kann man sich das erklären?
»Es ist eine Kombination aus verschiedenen Dingen, die Temu da praktiziert. Zum einen ist Temu ja eine Plattform für Hersteller, die dann über Temu direkt verkaufen. Es sind überwiegend kleinere oder mittelständische Hersteller aus China. Und dann umgeht Temu Zollgebühren. Angeblich sollen 65 Prozent der Waren falsch deklariert sein. Bestellungen werden beispielsweise immer in Einzelpakete verpackt, sodass diese einen Warenwert von 150 Euro nicht überschreiten und dementsprechend auch nicht zollpflichtig sind. Das macht schon mal eine große Preisdifferenz aus. Dann unterstelle ich Temu auch – gerade den Herstellern und Lieferanten aus China -, dass auch nicht immer Umsatzsteuern abgeführt werden. Und in dieser Kombination darf es nicht verwundern, dass die Artikel mindestens 50 Prozent günstiger sind als woanders.«
Heinemann wird auch nach Empfehlungen an die Politik gefragt:
»Ich appelliere an den Gesetzgeber, bei den Zollkontrollen genau hinzuschauen. Denn wir haben es hier mit unfairem Wettbewerb zu tun. Das sollte unbedingt und vor allem schnell korrigiert werden.«
Und die Perspektiven?
»Temu wird aktiv bleiben und ähnlich wachsen, wie die chinesische Plattform Pindoudou, die genauso wie Temu dem chinesischen Mutterkonzern PDD Holdings gehört. Beide Plattformen sind erst seit wenigen Jahren aktiv und in kürzester Zeit explosionsartig gewachsen. Das ist das sogenannte chinesische „Leapfrogging“, also das schnelle Vorankommen bei Entwicklungsprozessen. Vergleichbare Wachstumsraten kennen wir bisher nicht.«
Und dann kommt Amazon ins Spiel: »Hat Temu in ihren Augen das Potenzial, perspektivisch Plattformen wie Amazon, Zalando und Co. vom Markt zu drängen?«, so die abschließende Frage an den Handelsexperten:
»Das merkt man ja schon an der Reaktion von Amazon. Man hört, dass Temu in den USA anderen Plattformen bereits 20 Prozent der Online-Transaktion abgezogen hat. Etwas Ähnliches könnte auch hier passieren. Insofern ist Temu unter Umständen der potenzielle „Amazon-Killer“. Selbst wenn Temu es nicht schafft, ist die nächste Plattform in China schon unterwegs, nämlich TikTok Shop. Von denen hört man, dass sie noch aggressiver sein soll und noch schneller wächst.«
»Wir haben es regelrecht mit einem Angriff von Plattformen aus China zu tun. Und das wird wahrscheinlich in den nächsten Jahren so weitergehen.«