Politische Ökonomie der Preisbildung beim Rohöl: Rückblick auf die sogenannten „Ölkrisen“ der 1970er Jahre

Ich hatte versucht, Ihnen in der Einführungsveranstaltung am Beispiel der Entwicklung der Rohölpreise aufzuzeigen, dass man neben der für Ökonomen so zentralen Betrachtung von Angebot und Nachfrage, aus deren (Nicht-)Zusammenspiel sich dann bestimmte Preise ergeben, die wiederum den Ausgleich der beiden Seiten herstellen sollen, immer auch sehen muss, dass auf der volkswirtschaftlichen Ebene zahlreiche politische und oftmals nur historisch zu verstehende Einflussfaktoren wirken. Wir haben das exemplarisch am Beispiel dessen diskutiert, was 2014 hinter dem damaligen Absturz des Rohölpreises stand.

Und in der Foliensammlung, die ich verwendet habe, finden Sie eine Abbildung mit einer langen Zeitreihe der Entwicklung „des“ Ölpreises von 1960 bis 2024, hier dargestellt an den Preisen für einen Korb an OPEC-Rohölen:

Wir sind heute natürlich von der Preisentwicklung und vor allem den Preisniveaus der vergangenen Jahre geprägt, in der Spitze waren das 110 US-Dollar pro Barrel Rohöl. Dagegen erscheinen die Preise, die man für Rohöl in den 1960er bis 2000er Jahren zahlen musste, fast schon putzig niedrig. Und dennoch hatte ich Sie kurz darauf hingewiesen, dass man auch in der Abbildung mit der langen Zeitreihe trotz der „Verzerrungen“ durch die im Vergleich sehr hohen Ölpreise am aktuellen Rand erkennen kann, dass es nach einer langen Zeit stabil niedriger Ölpreise in den 1970er Jahren zweimal einen schubförmigen Anstieg der damaligen Rohölpreise gegeben hat, die sich dann auch nicht mehr deutlich nach unten zurückgebildet haben.

Und ich hatte dann darauf hingewiesen, dass diese beiden Preissprünge nach oben in der damaligen Zeit zu schweren Verwerfungen in der Weltwirtschaft geführt haben und man rückblickend immer wieder von der „1. Ölkrise“ (1973/1974) und der „2. Ölkrise“ (1979/1980) hört oder lesen kann – die Anführungszeichen resultieren daraus, dass es eigentlich keine Krise des Öls war und geben kann. Aber die Begriffe tauchen immer wieder auf, deshalb lohnt ein Rückblick auf das, was da in den 1970er Jahren passiert ist.

In einem ersten Schritt müssen Sie sich gedanklich in die damalige Zeit zurückbeamen und sich die Ihnen heute bekannte Entwicklung bis 2024 ausblenden. Zoomen wir uns also in die Zeitreihe rein und schneiden den rechten Teil der Abbildung nach 1980 ab:

Sie können der Abbildung entnehmen, dass es ausgehend von dem Rohölpreis 1973, der damals bei 2,70 Us-Dollar pro Barrel lag, innerhalb eines Jahres eine Vervierfachung des Preises gegeben hat. Das war natürlich ein massiver Preisanstieg in sehr kurzer Zeit. Und 1979 hat sich der Rohölpreis ebenfalls in kurzer Zeit mehr als verdoppelt, mit einem weiteren kräftigen Anstieg von über 20 Prozent im darauffolgenden Jahr, also 1980. Wie kann man diese beiden außergewöhnlichen Preissprünge in den 1970er Jahren erklären bzw. verstehen? Der eine oder andere wird sich nach dem Studium dessen, was damals passiert ist, durchaus an die heutige Zeit erinnert fühlen.

Die „1. Ölkrise“ 1973/1974

»Im Herbst 1973 drosseln arabische Ölstaaten die Förderung und verhängen ein Embargo. Der Ölpreis steigt um das Vierfache«, so dieser Beitrag: Die Ölkrise der 1970er: Rückblick auf eine folgenreiche Zeit. »Am 25. November 1973 und weiteren drei Sonntagen gehören Deutschlands Straßen den Spaziergängern und Radlern. Die Autos bleiben in den Garagen, es gilt ein allgemeines Fahrverbot. Dies ist nur die spektakulärste einer ganzen Reihe von Energiesparmaßnahmen, die die Bundesregierung verkündet hat. Zwar nehmen die Menschen die Zwangspause nach außen hin gelassen, doch ein Gefühl des Unbehagens macht sich breit. Das Ende des Traums von der totalen Mobilität, so scheint es, naht. Ist an den düsteren Vorhersagen des Clubs of Rome, die Grenzen des Wachstums seien erreicht, etwas dran?«

Was ist damals geschehen?

»Ägypten und Syrien, die schon seit Monaten die Rückeroberung der 1967 von Israel besetzten Gebiete planen, greifen am 6. Oktober 1973, dem Feiertag Jom Kippur, Israel an. Die Araber bringen die israelische Armee an den Rand einer Niederlage, doch dank amerikanischer Waffenlieferungen werden die Aggressoren zurückgeschlagen. Auf Drängen der USA, der Sowjetunion und der UNO wird Ende Oktober ein Waffenstillstand vereinbart.

Die in der OAPEC (Organization of Arabian Petroleum Exporting Countries) organisierten arabischen Öleigentümerstaaten reagieren empört. Sie werfen den westlichen Industrienationen eine einseitige Parteinahme zugunsten Israels vor und beschließen ihr Öl als Waffe im Kampf für die Rechte des palästinensischen Volkes einzusetzen. Am 17. Oktober einigen sie sich darauf, einen begrenzten Lieferboykott zu verhängen und die Produktion monatlich um fünf Prozent zu drosseln. Das Embargo zielt neben den USA auf die Niederlande, denn dort befindet sich Rotterdam, der wichtigste Umschlagplatz im europäischen Ölbusiness.

Schon tags zuvor, am 16. Oktober, haben sich die Länder des Persischen Golfes darauf verständigt, den Listenpreis für das begehrte Rohöl „Arabian Light“ um 70 Prozent zu erhöhen. Die übrigen Mitglieder der OPEC (Organization of the Petroleum Exporting Countries), die schon seit Monaten mit den großen Ölkonzernen über Preisersteigerungen verhandelt, schließen sich dieser Entscheidung an. Bei einigen Ölkäufern bricht Panik aus, schnell schießen die Preise in die Höhe.«

Der Zeitpunkt für den Einsatz der Ölwaffe war gut gewählt, denn in Europa stand der Winter vor der Tür.

»Erdöl ist für die Industrienationen des Westens die wichtigste Energiequelle und seit Jahren steigt die Nachfrage. Allein die Bundesrepublik Deutschland deckt 55 Prozent ihres Energiebedarfs mit Import-Rohöl, davon stammen 75 Prozent aus den arabischen Ländern.«

Heizöl und Benzin wurden schnell teurer.

»Die Bundesregierung hat sich damals für eine gezielte Symbolpolitik entschieden, die die Bürger wachrütteln und zum Sparen zwingen soll. Anfang November 1973 peitscht Kanzler Willy Brandt im Eilverfahren das Energiesicherungsgesetz durch den Bundestag. Darin heißt es: „Die Benutzung von Motorfahrzeugen kann nach Ort, Zeit, Strecke, Geschwindigkeit und Benutzerkreis sowie Erforderlichkeit der Benutzung eingeschränkt werden“. Auf der Grundlage des Energiesicherungsgesetzes wird den Deutschen ein Sonntagsfahrverbot verordnet, zunächst an vier Tagen im November und Dezember. Darüber hinaus gilt eine Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h auf Autobahnen und 80 km/h auf Landstraßen. Vor dem ersten autofreien Sonntag – Sonderfahrtgenehmigungen gibt es nur für Personengruppen wie Polizisten, Ärzte, Blumenhändler, Journalisten und Taxifahrer – malen Psychologen Horrorszenarien an die Wand: Wenn Familien ihren Wagen stehen lassen und zuhause bleiben, wird es unweigerlich zu Gewalttaten kommen.
Doch die Menschen reagieren gelassen. Während auf Straßen und Autobahnen gähnende Leere herrscht, unternimmt man Spaziergänge, fährt Rad oder ist mit öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs. Wie sich später zeigen wird, sind die Einsparungen durch das Fahrverbot gering.«

Das alles hatte ganz handfeste ökonomische und gesellschaftliche Auswirkungen:

»Die deutsche Wirtschaft leidet an den Folgen der Ölkrise, denn binnen weniger Monate hat sich der Ölpreis vervierfacht. 1974 muss die Bundesrepublik für Ölimporte 23 Milliarden D-Mark ausgeben, das sind fast 153 Prozent mehr als im Vorjahr. Der PKW-Verkauf bricht ein, die Autobauer verordnen ihren Werken Kurzarbeit. Ähnlich düster sieht es bei den Baustoffproduzenten, in der chemischen Industrie und bei der Eisen- und Stahlherstellung aus. Die Arbeitslosenzahl überschreitet 1975 die Millionengrenze, 1973 waren es nur 273.000. Schließlich verfügt die Bundesregierung einen Anwerbestopp für ausländische Arbeitskräfte. Auch das politische Klima verändert sich, die Spannungen zwischen Arbeitgebern und Gewerkschaften nehmen zu.
Im letzten Viertel des 20. Jahrhunderts beträgt das durchschnittliche Wachstum nur noch etwa 1,9 Prozent, die Arbeitslosenziffer steigt auf über zehn Prozent. Vor 1973/74 gab es jährliche Steigerungsraten des Bruttosozialprodukts um acht Prozent.«

Die „2. Ölkrise“ 1979/1980

Ausgelöst wurde der starke Preisanstieg Ende der 1970er Jahre im Wesentlichen durch Förderungsausfälle und Verunsicherung nach der Islamischen Revolution im Iran (die zum Sturz der Monarchie von Schah Mohammad Reza Pahlavi geführt hat) und dem folgenden Angriff des Iraks auf den Iran (Erster Golfkrieg). Innerhalb von wenigen Monaten verdoppelte sich damals der Ölpreis und das – verbunden mit einer tiefgreifenden Verunsicherung – führte dazu, dass es zu einer weltweiten Rezession kam.