Wir hatten in der Übungsveranstaltung eine Aufgabe, bei der es um den Amazon Marketplace ging. Sie sollten den einordnen in die Typologie der Marktformen. Ein wichtiger Lerneffekt dabei sollte sein, dass Sie erkennen, dass wir bei einer Analyse der Marktformen hier berücksichtigen müssen, dass es sich um einen „zweiseitigen Markt“ handelt und mit Blick auf diese beiden (unterschiedlichen) Seiten des Marktes unterscheiden sich auch die Marktformen, wobei hier der Plural bewusst verwendet wird: es gibt eben nicht nur eine Marktform, die man dem Amazon Marketplace zuschreiben kann.
Zum einen ist der Marketplace von Amazon aus „unserer“ Sicht (mindestens) ein sehr enges Angebotsoligopol, das wir in Anspruch nehmen (müssen), wenn wir bestimmte Güter online suchen und erwerben wollen. Denn es gibt kaum nennenswerte Konkurrenz für dieses Angebot im Netz. Das verdeutlich die Abbildung mit den 10 größten Online-Shops in Deutschland (gemessen an den dort getätigten Umsätzen). Im B2C-E-Commerce stand Amazon mit einem Umsatz von 15,8 Mrd. Euro im Jahr 2023 mit weitem Abstand an der Spitze (Otto als die Nummer 2 kommt nur auf einen Umsatz von 4,2 Mrd. Euro):

Beeindruckend ist die Marktmacht von Amazon im Online-Handel, wenn man sich die Verteilung der Marktanteile insgesamt anschaut (unter Berücksichtigung der Tatsache, dass Amazon neben dem Marketplace auch noch Eigenhandel betreibt):

Aber da sind noch die vielen Online-Händler (es sind mehr als 300.000), die den Amazon Marketplace als Verkaufsplattform nutzen. Und für diese ist Amazon ein Unternehmen, dass in einem monopsonistischen Markt agiert, also einem Nachfragemonopol, denn die vielen kleinen (marktschwachen) Nachfrager haben bis auf ganz wenige Ausnahmen gar keine Alternative, als sich auf dem Marktplatz von Amazon zu präsentieren, will man überhaupt eine relevante Zahl an (potenziellen und tatsächlichen) Käufern erreichen. Die monopolistische Stellung von Amazon als Nachfrage der vielen Angebote der Online-Händler führt nun aber zu den bekannten Risiken bzw. angeblich auch tatsächlich praktizierten Verhaltensweisen im Kontext einer Ausnutzung der Marktmacht aufgrund der sehr asymmetrischen Beziehung zwischen dem marktstarken Amazon und den vielen marktschwachen Anbietern.
Und da taucht es schon wieder auf – damit (bzw. mit den Vorwürfen einer missbräuchlichen Ausnutzung der Marktmacht durch Amazon) beschäftigt sich schon seit Jahren das Bundeskartellamt. Wie bereits im letzten Beitrag ausgeführt, werden wir uns das noch genauer anschauen müssen als einer ganz wichtigen Instanz im Bereich der Wettbewerbspolitik und des Wettbewerbsrechts.
„Zweiseitiger Markt“? Was ist das (und was hat das mit Netzwerkeffekten zu tun)?
Am Anfang dieses Beitrags wurde ausgeführt, dass eine Marktformanalyse des Amazon Marketplace in Rechnung stellen muss, dass wir mit einem „zweiseitigen Markt“ konfrontiert sind. Nun wird der eine oder andere gerne genauer wissen, was sich (mehr) hinter dieser Begrifflichkeit verbirgt, die Ihnen an vielen anderen Stellen (noch) begegnen wird.
Also schauen Sie in die einschlägige Fachliteratur und Sie suchen in den vielen Lehrbüchern, die Sie an Ihrer Hochschule sogar kostenlos abrufen können.
Bei der Recherche könnten Sie dann beispielsweise auf dieses Werk stoßen, das unser Thema schon im Untertitel trägt:
➔ Ralf Dewenter und Jürgen Rösch (2015): Einführung in die neue Ökonomie der Medienmärkte. Eine wettbewerbsökonomische Betrachtung aus Sicht der Theorie der zweiseitigen Märkte, Wiesbaden: Springer Fachmedien, 2015
Dort stoßen Sie dann auf den Seiten 115 bis 138 auf detailliertere Ausführungen unter der Überschrift „Das Konzept der zweiseitigen Märkte“. Daraus nur einige wenige Aspekte – die Ihnen zugleich verdeutlichen sollen, dass es sich hier um ein ökonomisches Grundkonzept geht, das weit über unser Fallbeispiel Amazon hinausreicht:
»Einkaufszentren, Strombörsen, Immobilienmakler, Partnervermittler, Reisevermittler, viele Internetplattformen, Zeitungen und auch TV-Sender haben eine wesentliche Gemeinsamkeit: Sie alle sind sogenannte zwei- oder mehrseitige Plattformen, die mindestens zwei unterschiedliche, aber über Netzeffekte miteinander verbundene Märkte bedienen. Die Märkte, in denen sie tätig sind, werden dementsprechend als zweiseitige oder auch mehrseitige Märkte (engl. two-sided) bezeichnet. Zeitungsmärkte etwa, mit der Interdependenz zwischen Leser- und Anzeigenmarkt, sind ebenso wie Rundfunk- oder Internetmärkte typische Anwendungsbereiche.«
Und gleich am Anfang führen die beiden Autoren dann einen wichtigen Begriff ein:
»Die herausragende Besonderheit zweiseitiger Märkte ist die Existenz von indirekten Netzeffekten. Bei indirekten Netzeffekten profitieren die Teilnehmer eines Netzwerkes nur indirekt von der Größe ihres eigenen Netzwerks. Sie profitieren in erster Linie von der Größe eines zweiten, verbundenen Netzwerks. Steigt die Anzahl der Teilnehmer des verbundenen Netzwerks, steigt auch der Nutzen der Teilnehmer des ersten Netzwerks. Profitiert das zweite Netzwerk ebenfalls von der Größe des ersten, liegen zweiseitige indirekte Netzeffekte vor. Die Teilnehmer des ersten Netzwerks profitieren dabei indirekt von der Größe ihres eigenen Netzwerks, da sich dadurch das zweite vergrößert, was wiederum in einem höheren Nutzen für die Teilnehmer des ersten Netzwerks resultiert.«
Geht das vielleicht mal etwas konkreter? Mit einem oder mehreren Beispielen, so dass man das nachvollziehen kann? Natürlich, lesen wir weiter:
Beispiel 1: »Besucht ein männlicher Single zum Beispiel eine Single-Bar, hängt sein Nutzen nicht nur von der Bar, dem Eintrittspreis und den angebotenen Getränken ab, sondern auch davon, wie viele (Single-)Frauen in die Bar kommen. Je mehr Frauen die Bar besuchen, desto interessanter wird die Bar für Männer und umso mehr Männer besuchen diese. Umgekehrt steigt dadurch auch der Nutzen der weiblichen Singles, die an Männern interessiert sind. Die Bar bedient also zwei verschiedene Kundengruppen: Männer und Frauen. Frauen profitieren von einer höheren Anzahl an Männern und damit nur indirekt von der Anzahl der Frauen – da mit einer steigenden Zahl an Single-Frauen auch mehr Single-Männer die Bar aufsuchen. Es liegen demnach zweiseitige positive Netzeffekte vor. Die Bar internalisiert als zweiseitige Plattform diese Netzeffekte und bringt die beiden Kundengruppen zusammen.«
Die Kundengruppen können sich aber ebenso negativ beeinflussen.
Beispiel 2: »Ein Fernsehsender bietet seine Inhalte Zuschauern an und verkauft gleichzeitig Werbefläche an Unternehmen. Werbetreibende sind daran interessiert, möglichst viele Zuschauer zu erreichen; Fernsehzuschauer sind dagegen wenig an der Unterbrechung des Programms interessiert. In diesem Fall liegt nur ein einseitig positiver indirekter Netzeffekt (vom Fernsehzuschauer zu den Werbetreibenden) vor. Die Werbetreibenden üben aber einen negativen indirekten Netzwerkeffekt auf die Zuschauer aus. Dennoch sind die beiden Kundengruppen (Zuschauer und Werbetreibende) über indirekte Netzeffekte miteinander verbunden. Zwischen den Gruppen liegen (positive und negative) Externalitäten vor, die vom Fernsehsender berücksichtigt (internalisiert) werden.«
Dewenter/Rösch bilanzieren und formulieren allgemein (was wir ja bereits am Fallbeispiel Amazon Marketplace kennengelernt haben):
»Die beiden „Marktseiten“ in zweiseitigen Märkten entsprechen also nicht der Angebots- und Nachfrageseite eines Marktes, sondern sind zwei unterschiedliche Gruppen von Nachfragern bzw. Anbietern, die eigenständige, aber interdependente Märkte begründen.«
Und weiter aus der Welt der Beispiele – es mag ja Studierende geben, die mit Singles oder Fernsehsender nichts anfangen können. Aber vielleicht mit Kreditkarten?
»Kreditkartenmärkte sind ebenfalls typische zweiseitige Märkte. Einer der beiden Märkte umfasst alle Kreditkarteninhaber, der andere Markt alle Geschäfte, die diese Kreditkarte akzeptieren. Die Plattform, die die beiden Kundengruppen verbindet ist das Kreditkartenunternehmen. Je mehr Geschäfte eine bestimmte Kreditkarte akzeptieren (z.B. MasterCard), desto wertvoller ist es für einen Konsumenten, eine solche zu besitzen. Es gibt also ein Netzwerk der Kreditkartennutzer und eines der Geschäfte, welche die Kreditkarten akzeptiert. Je größer die Nachfrage nach Kreditkarten ist, desto größer ist auch die Nachfrage nach der Dienstleistung „Zahlung per Kreditkarte“. Die Nachfrage nach Kreditkarten wird zum Teil durch die Anzahl der Geschäfte begründet, welche die Kreditkarte im täglichen Zahlungsverkehr akzeptieren. Händler fragen den Service des Kreditkartenunternehmens nur dann nach, wenn auch genügend Kunden daran interessiert sind, mit dieser Kreditkarte zu zahlen. Die Nachfrage des Kreditkartenmarktes wird also durch das Angebot an Geschäften, die diese Kreditkarte anbieten, bestimmt. Die Nachfrage nach der Nutzung des Bezahlsystems Kreditkarte, wird jedoch durch die Nachfrage nach der Kreditkarte selbst.«
Und mit zwei kurzen Beispiel-Hinweisen geht es weiter:
»Immobilienmakler sind dann erfolgreich und erfreuen sich einer hohen Nachfrage an Käufern und Mietern, wenn sie über ein großes Angebot verfügen. Dieses Angebot können sie aber nur dann aufbauen, wenn sich auch viele Käufer bzw. Mieter an sie wenden. Auch wissenschaftliche Zeitschriften sind ein Beispiel für zweiseitige Märkte … Je größer der Anteil interessanter Artikel ist, desto mehr Leser werden sich einer Zeitschrift widmen. Die Autoren sind aber vor allem daran interessiert, dass die Zeitschrift ein hohes Renommee hat und eine große Leserschaft aufweisen kann.
Die Unternehmen, die zwischen den Märkten bzw. Netzwerken oder Gruppen vermitteln, wie der Immobilienmarker, die wissenschaftliche Zeitschrift oder Zeitung und Kreditkartenunternehmen, agieren als zweiseitige Plattformen als Intermediär zwischen den Gruppen.«
Und hier abschließend ein letztes Zitat, dem Sie entnehmen können, was die grundsätzliche ökonomische Triebkraft ist, die Plattformen so wichtig (und wenn sie sich durchsetzen auch so lukrativ) machen – zugleich taucht da ein weiterer Grundbegriff auf, mit dem Sie am Anfang meines Lehrskripts zur VWL bereits Erfahrung gemachten haben (könnten, wenn sie es gelesen haben):
»Eine maßgebliche Eigenschaft der genannten zweiseitigen Plattformen ist die Tatsache, dass diese zwischen verschiedenen Netzwerken vermittelt. Den Netzwerken wird eine Plattform zur Verfügung gestellt, die sie in irgendeiner Form nutzen, um damit einfacher und effizienter in Kontakt zu kommen und zu interagieren. Die Transaktionskosten, die beide Gruppen dabei aufbringen müssen, werden durch die Plattformen also erheblich reduziert. Es lassen sich damit vor allem und in erster Linie Transaktionskostenersparnisse durch die Nutzung zweiseitiger Plattformen realisieren. Die Plattform internalisiert die Verbindung zwischen den beiden Gruppen. Sie verbindet die Gruppen durch ihre Preissetzung und ermöglicht so, die Transaktion günstiger oder überhaupt durchzuführen.
Zweiseitige Plattformen haben vor allem eine Reduktion von Transaktionskosten zur Folge.«