Das außergewöhnlich hohe Wirtschaftswachstum in Rheinland-Pfalz im zweiten Jahr der Corona-Pandemie. Wer war das?

Im Jahr 2021 gab es nach dem massiven Einbruch der am Bruttoinlandsprodukt (BIP) gemessenen volkswirtschaftlichen Wertschöpfung im ersten Pandemie-Jahr wieder ein positives Wirtschaftswachstum – über alle Bundesländer hinweg waren das +2,9 Prozent. Wenn man sich die Tabelle mit den Wachstumsraten der einzelnen Bundesländer anschaut, dann fällt das schönste Bundesland aus der Reihe, denn für das Land der Reben und Rüben, also Rheinland-Pfalz, wurden satte +9,6 Prozent Wirtschaftswachstum ausgewiesen.

Dazu hatten Sie im Aufgabenblatt 6 diese Fragestellung bekommen: »Kann man also schlussfolgern, dass die Landesregierung hier einen besonders guten Job gemacht hat in der Corona-Pandemie oder dass die Unternehmen dieses Landes überdurchschnittlich leistungsfähig sind?«

Die (richtige) Antwort lautet: Nein. Das kann man nicht schlussfolgern, auch wenn die Landesregierung das sicher begrüßen würde, wenn man das machen würde. Aber das würde bedeuten, dass man sich hier mit fremden Federn schmückt.

Die Quelle des damals sprudelnden Wirtschaftswachstums war vor allem ein Unternehmen. Richtig gelesen: ein Unternehmen. Dessen Namen kennen alle (noch): BioNTech.1

➔ Die BioNTech SE ist ein seit Ende 2019 börsennotiertes deutsches Biotechnologieunternehmen mit Sitz in Mainz.2 Es ist tätig in der Erforschung, Entwicklung und Herstellung von Immuntherapien zur Behandlung von Krebs und anderen schweren Erkrankungen sowie Impfstoffe gegen Infektionserkrankungen. Hierfür hat BioNTech mehrere Plattformtechnologien entwickelt, die verschiedene Wirkstoffklassen umfassen. Dazu gehören etwa mRNA-basierte Therapien, Zelltherapien und proteinbasierte Therapeutika wie Antikörper oder Antikörper-Wirkstoff-Konjugate. Ab Anfang 2020 entwickelte BioNTech den Impfstoff BNT162b2 gegen COVID-19, ausgelöst durch das humane Coronavirus SARS-CoV-2, der in Werken von Pfizer sowie in BioNTech’s Herstellungsstätte in Marburg für den weltweiten Bedarf produziert wird. Biontech hat als weltweit erstes Unternehmen die Zulassung für ein mRNA-basiertes COVID-19-Vakzin (Comirnaty) erhalten.3

Man kann sich die unglaubliche Erfolgsgeschichte des Unternehmens BioNTech an der Umsatzentwicklung verdeutlichen:

Im zweiten Pandemie-Jahr, also 2021, explodierte der Umsatz des Unternehmens auf sagenhafte 19 Milliarden Euro! Und auch 2022 könnte das Unternehmen mehr als 17 Milliarden Euro Umsatz einfahren. Aber man erkennt auch den Umsatz-Absturz in den Jahren 2023 und 2024. Was alle ersehnt haben, ein Ende bzw. Abklingen der Corona-Pandemie, war ein herber Schlag ins Kontor für den weltweit erfolgreichsten Imppfstoffhersteller.

Nun wird der eine oder andere möglicherweise anmerken, dass der Umsatz das eine ist, aber entscheidend ist doch der Gewinn (oder sein Spiegelbild, der Verlust). Also schauen wir uns die Gewinn-/Verlust-Entwicklung von BioNTech genauer an – auch hier erkennt man die „Ausreißer“-Jahre 2021 und 2022. In diesen beiden Jahren hat BioNTech einen Gewinn von gut 20 Milliarden Euro machen können:4

Die enorme Bedeutung dieses Unternehmens im Jahr 2021 im Bundesland Rheinland-Pfalz können Sie daran ermessen, dass das gesamt BIP von Rheinland-Pfalz für 2021 mit 167,8 Mrd. Euro ausgewiesen wird. Allein der Umsatz von BioNTech hatte also 2021 einen Anteil von 11 Prozent am gesamten BIP des Landes!

Aber war da nicht noch etwas anderes, das einen Einfluss gehabt hat auf das überdurchschnittlich hohe BIP von Rheinland-Pfalz im Jahr 2021? 

In der Nacht vom 14. auf den 15. Juli 2021 kam die große und verheerende Flutkatastrophe über das Ahrtal – mit vielen Toten und schweren Verwüstungen der Region. Man könnte vermuten, dass dieses schlimme Ereignis „positive“ Auswirkungen auf das BIP des Landes Rheinland-Pfalz gehabt hat. Wir haben darüber gesprochen: Das BIP ist „blind“ gegenüber den „guten“ und „schlechten“ Wachstumstreibern. Also wenn beispielsweise durch zahlreiche Autounfälle mit Todesfällen und schweren Verletzungen Folgewirkungen auftreten, wie die Krankenhausbehandlung der Opfer, der Ersatz der verunfallten Autos, die Arbeitsplätze, die „frei“ geworden sind und nachbesetzt werden müssen – alles das treibt das BIP nach oben. 

Jetzt könnte man schlussfolgern, dass ein vergleichbarer Wachstumseffekt auch durch die Flutkatastrophe im Ahrtal ausgelöst wurde und mithin zu dem im Vergleich zu anderen Bundesländern überdurchschnittlich hohen Wirtschaftswachstum von Rheinland-Pfalz beigetragen hat. Man denke hier an die zahlreichen Reparaturen und Investitionen, die vorgenommen werden mussten. Die vielen beschädigten Häuser und Verkehrswege, die wieder instand gesetzt werden mussten. Was ist von diesem auf den ersten Blick plausiblen Argument zu halten?

Zuerst einmal: Es ist richtig, das die Wiederaufbaumaßnahmen einen positiven Wachstumseffekt gehabt haben (bzw. noch haben, denn viele Maßnahmen laufen ja noch oder sind noch gar nicht umgesetzt). Aber hier müssen wir gleich ein bekanntes Phänomen in Rechnung stellen: den „time-lag“, also die Zeitverzögerung zwischen den Schäden (die negativ beim BIP zu Buche schlagen) und den dann wieder das BIP erhöhenden Folgemaßnahmen wie die Maßnahmen des Wiederaufbaus. Das ging ja nicht unmittelbare nach der Flut los, wenn man von den Sofortmaßnahmen absieht. Aber für die Wochen und Monate nach der Flut im Sommer 2021 muss man bei einer Gesamtrechnung eher die negativen Auswirkungen auf das rheinland-pfälzische BIP hervorheben: Infrastruktur wie Straßen, Brücken und Gebäude wurden zerstört, zahlreiche Unternehmen, insbesondere im Tourismus- und Dienstleistungssektor, erlitten Verluste oder mussten ihren Betrieb ganz einstellen, der Tourismus, ein wichtiger Wirtschaftszweig in Rheinland-Pfalz, wurde 2021 tief nach unten gezogen.5

Insofern bleibt festzuhalten: Trotz der regionalen Schäden verzeichnete Rheinland-Pfalz im Jahr 2021 ein überdurchschnittliches BIP-Wachstum von 9,6 Prozent. Dieser Anstieg war maßgeblich auf den wirtschaftlichen Erfolg des Mainzer Biotechnologieunternehmens BioNTech zurückzuführen, das durch die Entwicklung und den Verkauf seines COVID-19-Impfstoffs erhebliche Umsätze erzielte. Man muss es sogar noch zuspitzen: Der wirtschaftliche Boom von BioNTech kompensierte die negativen Auswirkungen der Flutkatastrophe auf das BIP des Bundeslandes. Ohne diesen Sondereffekt wäre das BIP-Wachstum von Rheinland-Pfalz deutlich geringer ausgefallen.


Soweit die volkswirtschaftliche Betrachtung. Es gibt wie immer im Leben andere Perspektiven. Beispielsweise die Sie sicher besonders interessierende betriebswirtschaftliche, unternehmerische Sicht der Dinge. Und in diesem Kontext möchte ich die Interessierten auf ein Buch mit zahlreichen Beispielen von Unternehmen im Ahrtal hinweisen, das von meiner Kollegin hier am Campus, Mareike Heinzen, verfasst wurde – Sie können das Buch übrigens kostenlos im Hochschulnetz so, wie es gedruckt wurde, herunterladen:

➔ Mareike Heinzen und Jörn Thiele (2024): Unternehmertum im Kreis Ahrweiler. Praxisberichte von CEOs über Krisen, Chancen und die Zukunft, Wiesbaden: Springer Gabler, 2024

Aus der Buchbeschreibung:

»Wie reagieren UnternehmerInnen kleiner und mittelständischer Unternehmen (KMUs) in Krisenzeiten auf Widrigkeiten und Unsicherheiten? Wie verhalten sich diese Unternehmen, wenn alles zusammenkommt, wie beispielsweise im Kreis Ahrweiler, wo zwischen zwei globalen Krisen, wie der Covid19-Pandemie und den Auswirkungen des Ukraine-Krieges, vom 14. auf den 15. Juli 2021 eine Flutwelle teilweise Firmengebäude zerstörte oder die Infrastruktur für lange Zeit lahmlegte? Was können andere etablierte oder auch potenzielle UnternehmerInnen von diesen besonders krisengeschüttelten KMUs lernen? Welche internen und externen Rahmenbedingungen sind wichtig, um Unternehmen in Krisenzeiten in einer Region zu unterstützen?

Um auf diese Fragen erste Antworten zu finden, porträtiert dieses Buch 15 namhafte Unternehmen des Kreises Ahrweiler. Gerade in Krisenzeiten packen vor allem auch UnternehmerInnen an, was uns motiviert hat, ihnen ein Buch zu widmen. Hierzu haben wir die Geschäftsführer/innen und Eigentümer/innen von aufstrebenden KMUs im Kreis Ahrweiler in mehrstündigen Interviews befragt – darunter auch Marktführer und Hidden Champions. 

Sie berichten von langjährigen Entstehungsgeschichten, Generationenwechseln und Neugründungen, aber auch von Unternehmerfähigkeiten und Innovationsstreben sowie ihrem Umgang mit Herausforderungen und Krisen, wie beispielsweise dem Fachkräftemangel oder ländlicher Infrastruktur. Die UnternehmerInnen geben hilfreiche Einblicke in ihre Erfolgsrezepte und erläutern, wie man Krisen auch als Chance begreifen kann. Die mittelständische Wirtschaft zeigt sich als ein wichtiges wirtschaftliches und soziales Standbein im flutbetroffenen Kreis Ahrweiler für heute und die Zukunft. Wir haben eine Unternehmergeneration getroffen, die Visionen für ein nachhaltiges und zukunftsorientiertes Ahrtal mitbringt und damit Mut macht für den Blick nach vorne.«

Fußnoten:

  1. Die Eigenschreibweise des Unternehmens lautet BioNTech, gebildet aus englisch Biopharmaceutical New Technologies. ↩︎
  2. BioNTech wurde 2008 auf der Grundlage langjähriger Forschungsarbeiten von Uğur Şahin, Özlem Türeci und Christoph Huber als BioNTech RNA Pharmaceuticals GmbH gegründet. Sahin und Türeci nahmen 2008 an einem Wettbewerb des Bundesforschungsministeriums im Rahmen der Gründungsoffensive Biotechnologie (GO-Bio) teil und gewannen. Das Preisgeld war an die Gründung eines neuen forschenden Unternehmens gekoppelt. So entschieden sich die Forschenden, BioNTech zu gründen. Der Schwerpunkt der Unternehmenstätigkeit lag damals auf der Entwicklung und Herstellung von Technologien und Medikamenten für individualisierte Krebsimmuntherapien. Es handelt sich also um eine Unternehmensgründung von WIssenschaftlern, die vorher an der staatlichen Universität Mainz geforscht haben. ↩︎
  3. Bei der Entwicklung und schnellen Markteinführung hatte staatliche Förderung ihren Anteil, also eine Subventionierung: Während der Pandemie unterstützte das Bundesministerium für Bildung und Forschung die Arbeiten an einem Impfstoff. Neben anderen Unternehmen erhielt auch BioNTech die Zusage für staatliche Fördermittel von etwa 375 Millionen Euro zur Beschleunigung der Produktion von COVID-19-Impfstoffen. Außerdem förderte die Europäische Investitionsbank Biontech mit einem Kredit in Höhe von 50 Millionen Euro. ↩︎
  4. 2021 hat BioNTech eine Umsatzrendite von 54,2 Prozent erwirtschaften können – 2022 waren es dann nochmal 54,5 Prozent. 2023 ging dann die Umsatzrendite auf „nur“ noch 24,4 Prozent runter und im vergangenen Jahr 2024 wurde dann eine negative Umsatzrendite von -24 Prozent ausgewiesen. So schnell kann man wieder runterkommen vom Gewinn-Olymp. ↩︎
  5. Mit Blick auf Rheinland-Pfalz und das Jahr 2021 berichtete das Statistische Landesamt im Juni 2022 Im Vergleich zum Vor-Corona-Jahr 2019 lagen die Einbußen bei den Gästen und Übernachtungen 2020 bei minus 40 bzw. minus 33 Prozent. Im zweiten Corona-Jahr 2021 fielen die Rückgänge mit minus 46 bei den Gästezahlen bzw. minus 38 Prozent bei den Übernachtungen noch deutlicher aus. Einen weiteren Tiefschlag erlitten die Gemeinden des Ahrtals sowie angrenzende Regionen infolge der verheerende Flutkatastrophe Mitte Juli 2021. Die Folgen dieses Unwetters sind bis zum heutigen Tag spürbar.« ↩︎