Auch die Europäische Zentralbank (EZB) muss eine Bilanz1 erstellen und veröffentlichen (vgl. dazu die Pressemitteilung Jahresabschluss der EZB für 2024, die Übersicht der Aktiva- und Passiva-Seite unter Konsolidierte Bilanz des Eurosystems zum 31. Dezember 2024 sowie ganz ausführlich Erweiterter Jahresabschluss der EZB 2024). In einer der Übungsaufgaben hatte ich Ihnen diese Abbildung zur Verfügung gestellt:

Sie sollten neben der Frage, was Bilanzverlängerung und Bilanzverkürzung im Fall der EZB-Bilanz bedeuten (➞ expansive versus ➞ kontraktive bzw. restriktive Geldpolitik), die Aufgabe bearbeiten, wofür die Phasen A, B, C, D und E in der Abbildung stehen. Sie sollten dann für jede der hier hervorgehobenen fünf Phasen eine Erklärung für die jeweils erkennbare Entwicklung der Bilanzsumme der EZB geben.
Ganz offensichtlich haben wir es bei den Phasen A bis D mit einer teilweisen massiven Bilanzverlängerung zu tun – lediglich die Phase E, in der wir uns gerade befinden, muss der Bilanzverkürzung zugeschrieben werden.
Wir haben dann bei der Besprechung der einzelnen Phasen gesehen, dass man die Phase A der Bewältigung der damaligen Banken-, Finanz- und Weltwirtschaftskrise 2008/2009 zuschreiben kann und muss, während die Phase B verknüpft ist mit der sogenannten „Euro-Krise“.
Was aber erklärt die mehrjährige Phase C mit einer erheblichen Ausweitung der Bilanzsumme? Da ging es ab 2015 stark nach oben mit der Bilanzsumme der EZB. War da nicht schon die „Euro-Krise“ vorbei (vgl. zur „Euro-Krise“ die Ausführungen in Sell 2024: 211 ff.)?
Die akute Euro-Krise war 2015 größtenteils überwunden, aber ihre wirtschaftlichen und strukturellen Folgen (niedrige Inflation, Wachstumsschwäche, schwache Kreditdynamik) wirkten weiter nach. Viele Länder litten weiter unter hoher Arbeitslosigkeit, niedrigem Wachstum und hoher Verschuldung. Die Inflation war deutlich zu niedrig (zeitweise nahe 0 %, teils negativ) – die EZB war mit Deflationsrisiken konfrontiert. Die Kreditvergabe an Unternehmen und Haushalte blieb schleppend. Investitionen und Inlandsnachfrage erholten sich nur zögerlich.
Die EZB reagierte mit der Einführung des QE-Programms 2015, um wieder Inflation, Wachstum und Vertrauen anzukurbeln. Was nun wieder ist das: „QE-Programm“?
Es handelt sich um das „Quantitative Easing (QE)-Programm„, also „quantitative Lockerung“. Wir sind angekommen in der Hochphase der lockeren, also expansiven Geldpolitik.
Im März 2015 wurde das Public Sector Purchase Programme (PSPP) gestartet. Die EZB begann mit dem Aufkauf von Staatsanleihen und anderen Wertpapieren in großem Umfang. Ab 2014/2015 wurden ergänzend Programme wie ABSPP (Asset-Backed Securities Purchase Programme), CBPP3 (Third Covered Bond Purchase Programme) und später TLTROs (gezielte längerfristige Refinanzierungsgeschäfte) eingeführt. Diese erhöhten die Liquidität weiter und blähten die Bilanzsumme zusätzlich auf. Parallel wurde der Leitzins auf 0 Prozent abgesenkt.
Übrigens: Ab 2019 und besonders während der COVID-19-Pandemie (ab 2020) wurde das Programm nochmals massiv ausgeweitet (z. B. durch das PEPP – Pandemic Emergency Purchase Programme). Das kann man auch in der Abbildung mit der EZB-Bilanzsumme erkennen (Phase D).
Fazit: Der starke Anstieg der EZB-Bilanzsumme ab 2015 ist primär auf das groß angelegte Anleihekaufprogramm (Quantitative Easing) zurückzuführen. Ziel war es, durch expansive Geldpolitik die Inflation zu erhöhen, die Konjunktur zu stärken und Deflationsrisiken zu vermeiden.
Fußnote
- Die Bilanz der EZB ist insofern von doppelter Besonderheit, weil es sich um eine Bankbilanz handelt (und die unterscheiden sich in einigen Punkten von „normalen“ Unternehmensbilanzen) und dann handelt es sich auch noch um eine „besondere Bankbilanz“, denn es geht hier ja um die Zentralbank und nicht um eine der Geschäftsbanken. Zu den Bankbilanzen generell: Eine Bankbilanz ist ein Bericht, in dem die Vermögenswerte, Schulden und Eigenkapital einer Bank aufgelistet sind. Die Bilanz soll den wirtschaftlichen Zustand der Bank (Liquiditätslage) wiedergeben und Auskunft über die Fähigkeit der Bank geben, ihren Verpflichtungen nachzukommen (Risikosituation). In der Bankbilanz werden Vermögensgegenstände (Aktiva) den Schulden und Eigenkapital (Passiva) gegenübergestellt. Die Differenz zwischen den Aktiva (Summe der Vermögensgegenstände) und den Schulden ergibt das Reinvermögen (Eigenkapital). Vermögenswerte sind alle Aktiva, die eine Bank besitzt. Dazu gehören Barmittel, Kreditorenforderungen und Sachanlagen. Schulden sind alle Verbindlichkeiten einer Bank. Dazu gehören Kredite, Anleihen und andere Verbindlichkeiten gegenüber Gläubigern. Eigenkapital ist der Betrag, der übrig bleibt, wenn man alle Schulden von den Vermögenswerten abzieht.
Die Bilanzsumme ist der Betrag, der sich ergibt, wenn man alle Vermögenswerte und Schulden einer Bank zusammenrechnet. Die Bilanzsumme muss immer gleich sein.
Weitere Informationen auch zu den Unterschieden zu „normalen“ Bilanzen finden Sie beispielsweise hier: https://onlinebanken.com/ratgeber/bankbilanz/. ↩︎
