Was haben die Bibel und auch der Koran mit der Volkswirtschaftslehre zu tun?

Ich hatte in der Vorlesung kurz darauf hingewiesen, dass man die Bibel bzw. Teile davon durchaus als ein volkswirtschaftliches Lehrbuch lesen und interpretieren kann. Natürlich in der diesem Sammelband entsprechenden ganz eigenen Sprache, aber es kommt ja auf die Inhalte an.

Beispielsweise findet man im Alten Testament durchaus eine Vorstellung von dem, was wir als Konjunkturzyklus besprochen haben, also vereinfacht gesagt das Auf und Ab der wirtschaftlichen Entwicklung. In der Bibel wird von den „sieben fetten und den sieben mageren Jahren“ gesprochen. Das müssen wir uns einmal genauer anschauen. Zugleich ist das wirklich ein ökonomisches Lehrstück, was ich Ihnen hier berichten kann.

Zuerst einmal der Blick in das Original, obgleich die sprachliche Fassung den meisten sehr sperrig bis unverständlich vorkommen wird:

Eine höchst interessante Fundstelle im Kontext unseres Themas ist die hier: Altes Testament, Das Buch Genesis, Der Traum des Pharao und seine Deutung, Kapitel 41, 1 – 57, hier vor allem Vers 17 – 36. Ich erspare Ihnen die Originalfassung aus der Bibel, die Sprache ist doch den allermeisten Menschen mehr als fremd. 

Ich gebe zu, wenn man einen Blick auf den Originaltext wirft, wird der eine oder andere denken, was um alles in der Welt haben die geraucht? Muss man das verstehen?

Versuchen wir es mit einer (etwas) modernisierten Variante, die ich in dem Artikel Fette Jahre, magere Jahre von Ulla Kulke gefunden habe: 

Dort erfahren wir erst einmal etwas über die Person des Joseph (oder auch Josef geschrieben) – und das klingt doch wirklich wie eine echt krassen Geschichte: »Joseph, Lieblingssohn von Jacob, dem Stammvater der Israeliten, war bei seinen zehn Halbbrüdern so sehr verhasst, dass sie ihrem Vater seinen Tod vortäuschten und ihn an Sklavenhändler verkauften, die gerade auf dem Weg nach Ägypten waren. Dort wurde er weiterverkauft, an Potifar, den Chef der Leibwache des Pharaos Ramses I. Josefs Pech war, dass Potifars Frau ihn verführen wollte, immer wieder. „Es begab sich aber, dass seines Herrn Weib zu ihm sprach: Schlaf bei mir“, berichtet Moses. Joseph wies sie zurück, immer wieder: „Wie sollte ich ein solch großes Übel tun“, fragte er sie. Die Verschmähte rächte sich. Klagte ihn an, er habe sie bedrängt, und der Unglückliche wanderte in den Kerker.«

Immer diese Beziehungsgeschichten … Aber lesen wir weiter: »Weil Joseph, der als Kind bereits bekannt war als treffsicherer Traumdeuter, die Träume von zwei Mitgefangenen wahrheitsgemäß vorhersagte, dem einen seine Hinrichtung, dem anderen die Freiheit, und sich dies bis zum Pharao durchsprach, wurde er bald schon zu Höherem berufen: Der Herrscher selbst bat ihn zur Deutung zweier Träume zu sich.« Jetzt sind wir also bei der Stelle angekommen, die Sie oben schon aus dem Original serviert bekommen haben:

Moses berichtete, dass Joseph dem Pharao bei der Erzählung seiner Träume zugehört hat und dann durchaus geschickt in die Rolle eines Beraters geschlüpft ist:

»Beim ersten, so erzählte Ramses, entstiegen dem Nilwasser zunächst sieben fette Kühe, hinter ihnen sieben magere, die die fetten auffraßen. Beim zweiten Traum lief es ähnlich: Erst sah der Pharao sieben Ähren auf einem Halm, „voll und dick“. Anschließend gingen sieben dürre Ähren auf, die die dicken verschlangen. Für Joseph gab es für all dies nur eine Erklärung: „Siehe, sieben reiche Jahre werden kommen in ganz Ägyptenland. Und nach denselben werden sieben Jahre teure Zeit kommen, dass man vergessen wird aller solcher Fülle; und die teure Zeit wird das Land verzehren, dass man nichts wissen wird von der Fülle im Lande vor der teuren Zeit, die hernach kommt; denn sie wird sehr schwer werden.“«

»Genau so geschah es. Sieben fette Jahre kamen, mit viel Regen und Nilschlamm, anschließend sieben magere Jahre, in denen beides ausblieb. Doch Joseph hatte sich nicht nur auf die reine Vorhersage beschränkt, er gab auch Ratschläge. Der Pharao, so empfahl er, solle in den reichen Jahren so viel Getreide wie möglich in die Kornkammern einlagern lassen, als Reserve für die schlechte Zeit. Auch riet er, Ramses möge nach einem verständigen und weisen Mann Ausschau halten, der die Getreidesammlung organisiere und anschließend, in den Jahren der Not, den Verkauf aus den staatlichen Kammern. Da Joseph in weiser Voraussicht sah, dass die Knappheit in eine Teuerung umschlagen würde, und auch – völlig zu Recht, wie sich herausstellte – annahm, dass der Pharao ihn als Manager der ausgleichenden Vorratshaltung einstellen würde, gilt der einstige Sklave und später hoch dotierte Beamte als erster Spekulant. Dem einen fordert dies Bewunderung ab, für den anderen war er, damals 30 Jahre alt, der biblische Prototyp der heute so gefürchteten Heuschrecken, der Finanzhaie. Seine Erscheinung und, wenn man so will, die Boni, die ihm der Pharao zukommen ließ, waren denn auch bereits beachtlich: Der Pharao, so berichtet Moses, „tat seinen Ring von der Hand und gab ihn Joseph an die Hand und kleidete ihn mit köstlicher Leinwand und hing eine goldene Kette an seinen Hals und ließ ihn auf seinem zweiten Wagen fahren“. Ein Dienstwagen mit Chauffeur. Auch verlieh ihm Ramses den Titel „Heimlicher Rat“ und gab ihm Asnath, die Tochter eines angesehenen Priesters, zur Frau.«

Aber die Geschichte geht noch weiter und auch der Außenhandel wird noch eingebaut:

»Seine wirklich große Stunde aber kam, als nach den sieben fetten anschließend die mageren, die trockenen, die teuren Jahre kamen. Joseph konnte das gelagerte Getreide teuer verkaufen, zum eigenen und des Pharaos Nutzen. Geld gab es da noch nicht, und so kassierten die Schatzbeamten beim Verkauf gewiss eine erkleckliche Menge an Halsbändern, Töpfen, Metallen, Lederbeuteln, Sandalen, Rasiermessern und all dem anderen, was damals zum Tausch herhalten musste. Nicht nur an Ägypter verkaufte Joseph, darauf weist Moses ausdrücklich hin. Sein Spekulationsgeschäft reichte damals schon weit über das Pharaonenreich hinaus, Händler aus fernen Ländern deckten sich bei ihm ein.«

Von Schulden, Schuldenerlass – und der ach so modernen Nachhaltigkeit

Aber auch über Schulden und Schuldenerlass kann man dem Alten Testament eine Menge entnehmen, konkret: das Erlassjahr (manchmal auch als Jubeljahr bezeichnet). Jedes 50. Jahr sollten die Israeliten ihren untergebenen Volksangehörigen einen vollständigen Schuldenerlass gewähren, ihnen ihr Erbland zurückgeben (Bodenreform) und Schuldsklaverei aufheben.

Und es wird noch besser: Heutzutage reden alle von Nachhaltigkeit, wenn es um ein klima- und umweltschonendes Wirtschaften geht. Nachhaltigkeit kennt die Bibel auch – in einer Hanz handfest-praktischen Form, die man versteht, wenn man bedenkt, dass die Menschen in früheren Zeiten an agrarischen Gesellschaften gelebt haben. 

Mit Blick auf die Bibel: Hier taucht im Alten Testament das sogenannte Sabbatjahr auf. Alle sieben Jahre musste ein Acker brachliegen, er durfte nicht bestellt werden. Das war eine Ruhephase, in der sich der Boden neu erholen konnte, neue Nährstoffe ansammeln konnte – eine geniale Regel, mit der die langfristige landwirtschaftliche Wertschöpfung sicher gestellt werden sollte. Und hier gibt es dann eine nicht nur zahlenmäßigen Verbindung zum Erlassjahr, das Sie eben kennengelernt haben: Alle sieben Sabbatjahre, sprich alle 49 Jahre sollte man im darauffolgenden Jahr – dem 50. Jahr – ein Jubeljahr ausrufen. Ein Schuldenschnitt für alle. Jede Generation sollte nach diesem Schema mindestens einmal Befreiung und komplette Endschuldung erleben, um so die Gefahr der Armut weitgehend zu minimieren.

Zur Beruhigung der Skeptiker unter Ihnen: Es gibt in der Bibel selbst immer wieder Hinweise dafür, dass vergebens zur Einhaltung der Erlassregel aufgerufen wurde. Also dass die Menschen sich einfach nicht an den frommen Wunsch gehalten haben, eine Erfahrung, die wir auch in unserem Leben an vielen Stellen machen (müssen). 

Und auch im Koran finden sich zahlreiche ökonomische Regeln

Das Streben nach wirtschaftlichem Erfolg wird im Islam positiv gesehen. Nicht nur, aber auch, weil der Prophet Mohammed aus einer Kaufmannsgesellschaft stammte. Jedoch sollten die materiellen Erwägungen des Wirtschaftslebens auf einer gesunden religiösen und moralischen Basis stehen. Wirtschaftliche Aktivitäten, die auf Gewinn gerichtet sind und Erfolg haben, gelten nach dieser Auffassung als ein gottgefälliges Werk. Der Mensch soll nicht in Armut leben, doch sollte er immer einen Teil seines Vermögens auch Bedürftigen zukommen lassen und für wohltätige Zwecke spenden. Eigentum verpflichtet also. 

„Und verrichtet das Gebet und zahlet die Zakat und beugt euch mit denen, die sich beugen.“ (Sure 2,43) Eine bestimmte Form der Armensteuer (Zakat) ist darüber hinaus rechtlich vorgeschrieben und gilt als eine der fünf Säulen im Islam. Besitz anzuhäufen gilt dann als verwerflich, wenn er durch Ausbeutung oder Verschwendung angehäuft und nicht durch eigene ehrliche Arbeit erworben wurde.

Im Islam gibt es ein rigoroses Zinsverbot: Im Koran gilt der Handel zwar als erlaubt, Zins und Wucher hingegen als verboten. Auch Geldverleih gegen Zinsen ist untersagt. Im Koran heißt es dazu: „Während Allah den Handel erlaubt, aber das Zinsnehmen untersagt hat…“ (Sure 2, 275). Zinsen also, wie man sie von normalen Banken kennt, werden im Koran als Riba, Wucher, bezeichnet.

Als Gründe für das islamische Zinsverbot kann man finden:

➞ Gläubiger, die Zinsen nehmen, vermehren ihr Vermögen mit dem Besitz der Schuldner (Besitzlose, Arbeiter, Handwerker etc. mit kleinem Verdienst und Arme). Dadurch werden Reiche noch reicher und Arme noch ärmer.
➞ Die wachsende Kluft zwischen Arm und Reich in Gesellschaften, die auf Zinswirtschaft beruhen, lässt bei den Benachteiligten Unzufriedenheit und Neid wachsen und hat letztlich vielschichtige soziale Konflikte zur Folge.
➞ Zinslose Kredite bringen die Menschen einander näher, während Zinsen die Menschen voneinander entfernen.
➞ Die Zinswirtschaft bringt Menschen hervor, die nur von den Zinsen leben und der Gesellschaft keinen Nutzen bringen, d.h. ein unproduktives Leben führen.
Der Schuldner, der einen verzinsten Kredit aufgenommen hat, muss hart arbeiten, um seine Schulden zu tilgen, und nimmt ein großes Risiko auf sich. Der Gläubiger jedoch braucht weder zu arbeiten, noch sich Sorgen zu machen. Dies führt dazu, dass das Gerechtigkeitsgefühl der Menschen beeinträchtigt wird.

Hintergrund des Zinsverbots waren vermutlich die im vorislamischen Mekka üblichen horrenden Zinspraktiken. Aufgrund des Zinsverbots wurden Geldgeschäfte in der islamischen Geschichte häufig von nicht-­muslimischen Minderheiten, also Juden oder Christen, abgewickelt. Aber auch hier werden wir mit Umgehungsstrategien konfrontiert: Bereits im islamischen Mittelalter hatte man allerdings Rechtskniffe ersonnen, um das Zinsverbot zu umgehen.

Übrigens: Das islamische Zinsverbot ist die Grundlage für die Entstehung des Islamic Banking. Es beinhaltet nur Finanzprodukte, welche ohne Zinszahlung angeboten werden können. Gewinne werden erwirtschaftet auf der Basis von Gewinnbeteiligungen. Islamic Banking steht also für ein islamisches Modell einer Beteiligungswirtschaft. Banken beteiligen sich direkt am Geschäft und tragen damit auch das Risiko von Verlusten mit. Umgekehrt verdienen sie, wenn das Geschäft gut läuft und der Handelspartner seine Raten abbezahlen kann. Damit sich Banken an die islamischen Vorschriften halten, werden sie von einem so genannten Scharia-Board, einem religiösen Beirat aus rechtskundigen Gelehrten, beraten und kontrolliert. Das Scharia-Board zertifiziert mit seinem Gutachten die Produkte der Finanzinstitute, die damit «halal» und gestattet sind.

Auch interessant in Zeiten der Spekulation, in denen wir leben: Ein weiterer wesentlicher Grundsatz „islamischer Wirtschaftsordnung“ ist der Verzicht darauf, Waren oder Geld zurückzuhalten oder anzusammeln, um damit Preise zu beeinflussen und auf diesem Wege Gewinn zu machen: „Und denen, die Gold und Silber horten und es nicht auf Allahs Weg ausgeben, verkünde ihnen schmerzliche Strafen…“ (Sure 9,34). Ein Spekulationsverbot also. Als anschauliches Beispiel dient der Verkauf von noch nicht gefangenen Fischen: Vereinbaren Käufer und Verkäufer einen festen Preis für Fische, die noch im Meer schwimmen, spekulieren sie über einen noch ausstehenden Fang. Dieser Handel fällt unter das Verbot («Gharar»), denn es ist unklar, ob der Fischer die Fische jemals fängt.

Diese wenigen Beispiele mögen Ihnen gezeigt haben, dass da eine Menge Wirtschaftslehre steckt, in der Bibel und im Koran. 

Überall geht es um das wichtigste Thema Ihres Studiums: um die Volkswirtschaftslehre. Und um Regeln des gesellschaftlichen Zusammenlebens. Und die Wirtschaftswissenschaften sind eine der Sozialwissenschaften, das haben Sie ganz am Anfang der VWL-Veranstaltung bei mir gelernt. Erinnern Sie sich noch?