Sie hat es getan: Die EZB hat den Leitzinssatz gesenkt und die einen finden das bedenklich, die anderen längst überfällig

Am Nachmittag des 6. Juni 2024 kam dann die (erwartete) Meldung: EZB senkt Leitzinsen um 0,25 Prozentpunkte. Am 14. September 2023 hatte die EZB den letzten Leitzinserhöhungsschritt vollzogen, damals wurde der Hauptrefinanzierungssatz auf 4,5 Prozent angehoben. Nun also die Umkehr.

Dargestellt ist die Entwicklung des Hauptrefinanzierungssatzes der EZB für den Euroraum von 2000 bis zum Juni 2024. Quelle der Abbildung: www.leitzinsen.info.

Schon länger vor der Sitzung des EZB-Rates am 6. Juni gab es zwar die Erwartung, dass die EZB die Leitzinsen senken wird, aber das war und ist nicht unumstritten.

Dazu aus dem Beitrag „EZB spielt Inflationsgefahr herunter“ von Klaus-Rainer Jackisch, der wenige Stunden vor der Zinsentscheidung der EZB veröffentlicht wurde: »Obwohl die Inflation im Mai wieder angezogen hat und sich hartnäckig hält, wird die Europäische Zentralbank wohl heute die Leitzinsen senken. Kritiker halten den Schritt für verfrüht.«

»In der Wirtschafts- und Finanzwelt geht man fest davon aus, dass die EZB die Zinswende einleiten wird. Allgemein wird mit einer Senkung des Hauptleitzinssatzes um 0,25-Prozent-Punkte auf dann 4,25 Prozent gerechnet. Es wäre … ein historischer Schritt, denn damit würde die EZB ihre straffe Geldpolitik im Kampf gegen die hohe Inflation erstmals wieder lockern.«

Unterstützung fand die schon seit Wochen angekündigte Zinssenkung von Notenbank-Vertretern »aus Portugal und Italien, die schon seit Monaten für eine Zinssenkung trommeln, um die Finanzierung der hohen Schulden in diesen Ländern zu erleichtern.«

Aber die Inflation? Viele »Beobachter reiben sich … verwundert die Augen. Tatsächlich spricht derzeit wenig für eine Zinssenkung: Nach einem deutlichen Rückgang ist die Inflationsrate im Euroraum im Mai von 2,4 auf 2,6 Prozent wieder gestiegen. Auch in Deutschland. Dort zog sie nach deutscher Berechnung von 2,2 auf 2,4 Prozent an. Nach europäischer Berechnung liegt sie sogar wieder bei 2,8 Prozent. Auch in vielen anderen EU-Staaten ist die Inflationsrate weit entfernt vom selbst gesteckten Ziel der EZB, eine Teuerung von zwei Prozent zu erreichen: etwa in Belgien, das mit 4,9 Prozent derzeit den höchsten Wert in der Eurozone ausweist. Auch in Kroatien liegt die Inflationsrate weiter über vier Prozent, in Österreich, Luxemburg und Zypern bei drei Prozent oder mehr. Starke Anstiege verzeichnen Spanien mit 3,8 Prozent und überraschend Portugal mit 3,9 Prozent. Besonders hartnäckig zeigt sich die taktangebende Kerninflation, bei der die schwankungsanfälligen Preise für Nahrungsmittel und Energie herausgerechnet werden. Sie liegt bei drei Prozent und dürfte aufs Jahr gerechnet auf 3,5 Prozent steigen. Die Preise für Nahrungsmittel legen weiter zu, wenn auch nicht mehr so stark. Und bei der aus dem Ruder gelaufenen Teuerung für Dienstleistungen hat sich gar nichts getan: Die verharrt seit Monaten bei rund vier Prozent.«

Die EZB kann nicht wirklich erklären, warum sich die Teuerung in einzelnen Bereichen so hartnäckig hält. Kritiker werfen der Zentralbank vor, die Entwicklungen wieder einmal zu unterschätzen. Deshalb halten viele Beobachter die Leitzinssenkung zum jetzigen Zeitpunkt für falsch.

„Die EZB spielt die Inflationsgefahr herunter“, wird beispielsweise der Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer zitiert. „Vermutlich wird sich die Zinssenkung diese Woche in der Rückschau als Fehler erweisen.“

»Doch es gibt auch andere Stimmen: Holger Schmieding, Chefvolkswirt der Berenberg Bank, argumentiert schon seit Monaten, die EZB sei mit ihrer straffen Geldpolitik bei der Inflationsbekämpfung über das Ziel hinausgeschossen. Auch mit einem niedrigeren Leitzinssatz hätte sie die Teuerung erfolgreich bekämpfen können. Deshalb spreche nichts dagegen, die Zinsen jetzt zu senken. Das glaubt auch Karsten Junius, Kollege beim Schweizer Bankhaus J. Safra Sarasin: Eine Zinssenkung sei „bitter nötig“, weil das hohe Niveau „vor allem den Bau und die Investitionstätigkeit übermäßig belastet“, so der Chefvolkswirt … Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) hatte sich kürzlich ähnlich geäußert.«

Und nach der Zinsentscheidung hat sich aus dem Lager der Befürworter beispielsweise Marcel Fratzscher, der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin), zu Wort gemeldet und seine Kommentierung unter diese Überschrift gestellt: „Zinswende ist überfällig für den Euroraum“:

»Die Zinswende der EZB ist gut, aber überfällig. Die EZB erfüllt ihr Mandat der Preisstabilität, auch wenn die Risiken nach wie vor hoch sind. Es ist wahrscheinlicher, dass die EZB über die mittlere Frist die Preisstabilität wegen einer zu geringen Inflation nicht erfüllt, als dass die Inflation zu hoch sein wird. Ein Handelskonflikt mit China und steigende Energiekosten durch geopolitische Konflikte sind die größten Risiken für die Inflation, starke Lohnsteigerungen sind es nicht.«

Und warum ist er ein Befürworter einer Zinssenkung (die zudem schon hätte früher kommen müssen)?

»Die Zinswende der EZB kommt zu spät, und die Zinsen sind zu restriktiv für die schwache Wirtschaft im Euroraum. Die Geldpolitik ist mit der restriktiven Finanzpolitik die wichtigste Bremse für die Konjunktur, vor allem in Deutschland. Deutlich geringere Zinsen sind notwendig, um die Investitionen und den privaten Konsum im Euroraum und in Deutschland zu stärken und die wirtschaftliche Transformation voranzubringen.«

Fratzscher gibt eine Empfehlung, deren Realisierungswahrscheinlichkeit er allerdings nicht hoch ansetzt:

»Die EZB sollte in den kommenden Monaten bei jeder Sitzung die Zinsen weiter senken. Allerdings scheint die EZB sich mit den Zinssenkungen Zeit lassen zu wollen, so dass die Zinsen erst 2026 wieder ein neutrales Niveau erreichen dürften.«

Wie dem auch sei: Mit ihrem Schritt folgt die EZB den Notenbanken Kanadas, der Schweiz und Schwedens, die bereits die Zinsen gesenkt haben.

Die einflussreiche US-Notenbank Federal Reserve hält sich bislang noch zurück, weil sich auch die Inflation in den Vereinigten Staaten zuletzt als weiterhin sehr stark erwiesen hat.

Während der Leitzinssatz im Euro-Raum von 4,5 auf 4,25 Prozent abgesenkt wurde, liegen die Leitzinsen in den USA seit Juli 2023 in der Bandbreite von 5,25 – 5,50 Prozent und die Fed hat noch keine Zinswende in naher Zukunft in Aussicht gestellt. Damit vergrößert sich der Zinsabstand zwischen den USA und der Euro-Zone.