Märkte und Marktformen spielen eine zentrale Rolle im ökonomischen Denken. Sie haben in der bisherigen Vorlesung eine Menge gehört über in jedem Lehrbuch der Ökonomen auftauchende (in der Realität aber nie vorkommende) vollkommene und unvollkommene Märkte, auf denen wir uns in der wirklichen Wirklichkeit bewegen.
Ich habe versucht, Ihnen an einem sehr interessanten Beispiel aufzuzeigen, wie Märkte funktionieren und wie dort die Preisbildung funktioniert. Nicht an einem „normalen“ Markt oder an so einem theoretischen Marktmodell, wie man es den meisten Lehrbüchern entnehmen kann, sondern am Beispiel der Drogenmärkte, konkret: am Beispiel des Marktes für Kokain.
Grundlage für die Exkursion in diesen illegalen Markt war dieser Beitrag, den wir uns gemeinsam angehört haben:
➔ Deutschlandfunk Nova: Das Kokain-Paradox: Hohe Reinheit, trotzdem billig (09.10.2025)
»Kokain? Das ist doch eigentlich eine Droge der Reichen und Schönen. Dieses Klischee stimmt immer weniger mit der Realität überein. Der Preis für eine Line Koks bewegt sich derzeit, je nach Dosis, zwischen schätzungsweise vier bis sechs Euro.
Daten der Europäischen Drogenagentur EUDA weisen darauf hin, dass die Straßen- und Großhandelspreise für Kokain seit Jahren stabil sind, während sich die Reinheitsgrade seit 2011 mehr als verdoppelt haben. Das spüren auch die Konsumenten.
Gregor Lischka und Marcus Wolf kam das komisch vor. Schließlich wird Kokainhandel auf dem Schwarzmarkt gehandelt, der vermeintlich anderen Gesetzen folgt als legale Märkte.
Die seit Jahren zuverlässig steigende Nachfrage nach Kokain in Europa sorgt augenscheinlich dafür, dass der Anbau in Südamerika ausgeweitet wird. Dieses Angebot strömt auf den europäischen Markt. Hier sorgt der Wettbewerb unter Dealern dafür, dass die Reinheit des Kokains steigt. Hinzu kommt: „Der Schmuggel von Kokain ist relativ einfach möglich“, sagt Helena Barop.
Wie schwierig es ist, im Dickicht globaler Warenströme versteckte Kokain-Lieferungen zu finden, zeigt sich im Hafen von Antwerpen – einem der wichtigsten Einfallstore für Kokain nach Europa. In dem Kokaingeschäft steckt so viel Geld, dass Korruption am Hafen immer wieder ein Thema ist.
Vor allem aber ist das Problem: Die Zollbeamten können Container nur stichprobenartig kontrollieren und stehen unter enormem Zeitdruck, weil sonst die gesamte Hafenlogistik ins Stocken geriete. Die Folge: Kokain strömt in rauen Mengen auf den europäischen Markt.
Die Historikerin und Autorin Helena Barop hält die bisherigen Versuche, den Handel mit Kokain zu stoppen, größtenteils für gescheitert. Sie plädiert für eine Legalisierung des Markts, um der organisierten Kriminalität die Geschäftsgrundlage zu entziehen.
Warum es bei sich beim Kokain-Schmuggel außerdem eher um Liefernetzwerke als um Lieferketten handelt, was euer Bananenkonsum mit dem Kokain-Preis und was die Wirtschaftspolitik der Taliban mit dem Crack-Konsum in Frankfurt am Main zu tun hat, das erfahrt ihr in dieser Folge von What the Wirtschaft?!«
In dem Beitrag kam auch Helena Barop zu Wort. Für die Interessierten, die tiefer einsteigen möchten in das Thema Drogenökonomie und Drogenpolitik hier eine Buchempfehlung (und man kann dieses Buch bei der Bundeszentrale für politische Bildung in höchster Reinheit für unschlagbare 5 Euro bestellen und erwerben):

➔ Helena Barop (2025): Der große Rausch. Warum Drogen kriminalisiert werden. Eine globale Geschichte vom 19. Jahrhundert bis heute, Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung, 2025
»Die Historikerin Helena Barop skizziert, wie etwa Opium, Kokain, Morphium und Heroin zunächst als Medikamente galten, bis sie im Laufe des 19. und 20. Jahrhunderts zu Rauschgiften erklärt und vielerorts verboten wurden. Die Geschichte der Drogenpolitik sei von rassistischen und puritanischen Moralvorstellungen sowie von nationalen und innenpolitischen Interessen beeinflusst gewesen; Gesundheitsschutz und Hilfe für Suchterkrankte hätten hingegen kaum eine Rolle gespielt. Zum globalen Maßstab in den vergangenen zwei Jahrhunderten sei, so Barop, die US-amerikanische Drogenpolitik geworden, in der Sucht als moralische Verfehlung gedeutet und Abstinenz zum Ideal erklärt wurde. Das Ergebnis sei neben der Stigmatisierung von Betroffenen eine Tabuisierung mitunter lebensrettenden Wissens über Vorsichtsmaßnahmen, Wechselwirkungen, Risiken bei Vorerkrankungen, Dosierungen und Erste Hilfe gewesen.«
Und immer wieder diese „Umgehungsstrategien“
Der sogenannte „Kobra-Effekt“ ist Ihnen in meiner Vorlesung ja bereits mehrfach begegnet. Eingeführt von dem Kieler Volkswirt Horst Siebert steht er stellvertretend für das Universum an Umgehungsstrategien, mit denen Akteure auf Märkten auf (positive oder negative) Anreize reagieren. Und dabei oftmals vielleicht am Anfang gut gemeinte Regulierungen unterlaufen oder das Ergebnis sogar ins Gegenteil verkehren können.
In meinem VWL-Skript (Sell 2024), finden Sie auf den Seiten 70-71 diese Beschreibung:
| ➔ Zum Thema Umgehungsstrategien: In der wirtschaftswissenschaftlichen Literatur taucht hierzu immer wieder der Begriff des „Kobra-Effekts“ auf: Der „Kobra-Effekt“ verweist auf eine „Verschlimmbesserung“: Das Ergebnis von gut gemeint führt manchmal in eine regelrechte Katastrophe. In der Wissenschaft ist das Phänomen auch bekannt als Kobra-Effekt. Kurz gesagt, beschreibt dieser Effekt das Verschlimmern einer Ausgangssituation durch den Versuch, es eigentlich besser zu machen. Klingt kryptisch, kommt aber im Alltag häufiger vor als man vielleicht denkt. Es das Phänomen, dass Maßnahmen, die getroffen werden, um ein bestimmtes Problem zu lösen, dieses auch verschärfen können. Der Begriff taucht auf in einem Buch des Volkswirts Horst Siebert*, in dem die Folgen falscher Anreize für die Wirtschaft dargestellt wurden: Die Bezeichnung „Kobra-Effekt“ geht auf ein angebliches historisches Ereignis im britisch besetzten Indien der Kolonialzeit zurück: Ein britischer Gouverneur wollte einer Kobraplage Einhalt gebieten, indem er ein Kopfgeld auf jedes erlegte Exemplar aussetzte. Scheinbar funktionierte das Konzept zunächst gut: Immer mehr tote Schlangen wurden abgeliefert. Jedoch wurde deren Anzahl nicht gemindert, da die Bevölkerung dazu überging, Kobras zu züchten und zu töten, um weiterhin von der Prämie zu profitieren. Als das Kopfgeld nach einem gewissen Zeitraum wieder aufgehoben wurde, ließen die Züchter die Tiere frei, da sie keine Verwendung mehr für sie hatten – dadurch hatte sich dank (indirekter) staatlicher Förderung die Zahl der Kobras vervielfacht. Der Kobra-Effekt ist ein Beispiel für eine unbeabsichtigte Fehlsteuerung aufgrund von Ausweichverhalten oder Umgehungsstrategien der Beteiligten. * Quelle: Horst Siebert (2001): Der Kobra-Effekt. Wie man Irrwege der Wirtschaftspolitik vermeidet, Stuttgart 2001 |
Der Begriff und das Beispiel, mit dem Siebert Umgehungsstrategien (und dass eine gut gemeinte Maßnahme das Problem verschlimmern kann, statt es zu lösen), zu illustrieren versucht, wird Ihnen immer wieder begegnen. Tatsächlich ist die Geschichte vom sogenannten „Kobra-Effekt“ ein gutes Beispiel dafür, wie sich ökonomische Metaphern und historische Anekdoten vermischen, denn es gibt keine gesicherten historischen Belege dafür, dass die „Kobra-Geschichte“ tatsächlich so passiert ist. Es gibt keine britischen Kolonialquellen oder amtlichen Berichte, die diese Geschichte belegen können. Historiker vermuten, dass die Geschichte eine urbane Legende oder didaktische Anekdote ist, die auf ähnlichen realen Fällen beruht.
Die „Ratten-Geschichte“: Ein ähnlicher, besser belegter Fall ereignete sich in Französisch-Indochina (Vietnam): In Hanoi führte die Kolonialverwaltung eine Prämie für Rattenschwänze ein, um eine Rattenplage zu bekämpfen. Daraufhin fingen viele Leute nur die Schwänze und ließen die Ratten am Leben – oder begannen, sie zu züchten. Das ist tatsächlich dokumentiert. Diese „Ratten-Geschichte“ könnte die Vorlage für die spätere „Kobra-Anekdote“ gewesen sein.
Als Quelle kann man hier die Arbeit des Historikers Michael G. Vann anführen:
➞ Michael G. Vann (2003): Of rats, rice, and race: The great Hanoi rat massacre, an episode in French colonial history, in: French colonial history, 2003, pp. 191-204
Und im Kontext der Betrachtung des Kokain-Marktes habe ich Ihnen ein Fallbeispiel präsentiert, in dem es mit Blick auf moderner Umgehungsstrategien angesichts des Kontroll- und Verfolgungsdrucks anhand der Beobachtungen des BKA über neue Formen des Kokain-Schmuggels, die zu der aktuell beobachtbaren Kokain-Schwemme beitragen, beispielsweise auch um die sogenannte Drop-Offs ging. Bei dieser Methode wird das Kokain erst gar nicht mit dem Schiff in den Hafen gebracht, sondern vor der Küste abgeworfen und dann von Fischerbooten aufgesammelt.
Das findet tatsächlich vor unserer Haustür statt – was Sie dem folgenden Beitrag entnehmen können, denn Sie sich als Podcast anhören können:
➔ Deutschlandfunk: Ostfriesland und der internationale Drogenschmuggel (11.10.2025)
»Sie heißen Bensersiel oder Carolinensiel: Kleine Häfen in Ostfriesland, die Ziele des internationalen Kokainschmuggels geworden sind. In Fischerbooten kommen Drogenpakete dort an. Geht eins verloren, stolpern auch schon mal Urlauber am Strand darüber.«
Und abschließend ein Arbeitsauftrag für Sie aus diesem interessanten Teilgebiet der Ökonomie:
Legal, illegal … teillegal. Die Teil-Legalisierung von Cannabis (aus ökonomischer Sicht)
Mit illegalen Sachen wollen Sie natürlich nichts zu tun haben. Aber wenn das legal wäre … Also schauen wir auf einen vor unseren Augen ablaufendes Fallbeispiel, wo etwas, was bislang illegalisiert war, nunmehr legalisiert wurde. Oder gleich genauer: teilweise legalisiert.
Sachverhalt: Seit dem 1. April 2024 gilt das neue Gesetz zur Teil-Legalisierung von Cannabis (Gesetz zum Umgang mit Konsumcannabis (Konsumcannabisgesetz – KCanG)) für volljährige Personen (ab 18 Jahren). Hinweis: Neben dem Konsumcannbisgesetz (KCanG) gibt es noch als zweite Säule das Gesetz zur Versorgung mit Cannabis zu medizinischen und medizinisch-wissenschaftlichen Zwecken (MedCanG). Hier nun einige Elemente der Teil-Legalisierung im Cannabis-Bereich:
Privat darf:
➞ eine Person bis zu 3 Cannabispflanzen im häuslichen Bereich anbauen.
➞ in der eigenen Wohnung bis 50 g Cannabis (zum Eigengebrauch) aufbewahrt werden.
➞ außerhalb der Wohnung (in der Öffentlichkeit) bis 25 g mitgeführt werden.
Nicht-kommerzielle Anbauvereinigungen (so genannte Cannabis-Clubs) mit bis zu 500 Mitgliedern dürfen gemeinschaftlich Cannabis anbauen und ihren Mitgliedern abgeben (nur zum Eigenverbrauch).
Der Konsum bleibt insbesondere für Jugendliche bzw. in Gegenwart von Minderjährigen streng geregelt: z. B. ist der Konsum in Sichtweite von Schulen, Kindergärten, Spielplätzen oder Sportstätten verboten.
Handel, Verkauf, gewerblicher Anbau oder Import/Export von Cannabis bleibt grundsätzlich verboten bzw. unterliegt sehr starken Regulierungen.
Ziel des Gesetzes: Gesundheitsschutz, Jugendschutz, Qualitätssicherung (z. B. Vermeidung von Verunreinigungen beim Schwarzmarkt) und Eindämmung des illegalen Handels.
Soweit einige Punkte aus der gesetzgeberischen Neuregulierung, die 2024 in Kraft getreten ist.1
Hier nun die Aufgaben, die Sie bitte bearbeiten:
Aufgabe 1: Wie kann man die Marktform beschreiben, auf dem sich Anbieter und Nachfrager von Cannabis bewegen? Aufgabe 2: Ökonomen denken in Angebot und Nachfrage. Bitte erläutern Sie, welche Auswirkungen die Teil-Legalisierung auf beide Seiten des Marktes hat. Aufgabe 3: Die Preisbildung erfolgt nach dem ökonomischen Lehrbuchwissen mit dem Ziel, Angebot und Nachfrage auszugleichen. Bitte diskutieren Sie die Besonderheiten der Preisbildung, mit der wir es auf dem teillegalisierten Markt für Cannabis zu tun haben. Welche Schlussfolgerungen für die weitere Ausgestaltung des Marktes würden Sie aus der Diskussion ziehen? |
Fußnote
- Eine detailliertere Übersicht finden Sie bei Interesse auf der offiziellen Seite des Bundesgesundheitsministeriums: Fragen und Antworten zum Cannabisgesetz. ↩︎