Das war sicher für den einen oder anderen, wahrscheinlich für alle eine verwirrende Angelegenheit, als ich Ihnen die neuesten Zahlen des Statistischen Bundesamtes zur konjunkturellen Lage der deutschen Volkswirtschaft präsentiert habe. In meinem Blog-Beitrag dazu (vgl. Vor der Prognose ist die Lage. Ein Blick auf die aktuelle konjunkturelle Lage in Deutschland) habe ich in den Abbildungen die Veränderung des BIP gegenüber dem Vorjahresquartal in Prozent dargestellt. Die finden Sie auch in der Pressemitteilung des Statistischen Bundesamtes. Aber dort kommt die erst an zweiter Stelle, vorher werden die Veränderungen des BIP gegenüber dem Vorquartal in Prozent angeführt.
Und auch in dem Text aus der Wirtschaftspresse wird dann mit den BIP-Veränderungen gegenüber dem Vorquartal argumentiert: „In den vergangenen drei Jahren hat die deutsche Wirtschaft nur einmal zwei Wachstumsquartale in Folge geschafft“, sagte ING-Chefvolkswirt Carsten Brzeski – und er meint damit zwei Quartale gegenüber dem jeweiligen Vorquartal, nicht dem Vorjahresquartal.
Ich habe Ihnen das mal grafisch aufbereitet:

Die beiden einzigen Quartale, in denen es aufeinanderfolgend positive Wachstumswerte gab, finden Sie in der rechten Abbildung (4. Quartal 2024 und 1. Quartal 2025) – und da sind die Veränderung des BIP gegenüber dem jeweiligen Vorquartal dargestellt.
Wir haben dann darüber diskutiert, ob das nicht eigentlich sinnlos ist, die Veränderung gegenüber dem Vorquartal zu messen, denn die Quartale haben doch ein ausgeprägtes saisonales Muster (Sie erinnern sich: Höhepunkte im 4. Quartal eines Jahres aufgrund des Weihnachtsgeschäftes und Tiefpunkte fast immer dann im 1. Quartal eines Jahres). Dann vergleicht man doch Äpfel mit Birnen (während man beim Vorjahresquartalsvergleich dieses Problem nicht hat).
Die Auflösung dieses scheinbaren Widerspruchs können Sie der Beschriftung der rechten Abbildung entnehmen. Dort steht BIP (preisbereinigt) – und dann ein weiterer Zusatz: saison- und kalenderbereinigte Werte. Man hat also bei den einzelnen Quartalen bereits den Saisoneffekt herausgerechnet (und zusätzlich auch noch ganz korrekt unterschiedliche Kalendereffekte ausgeglichen).
Was spricht für einen Vergleich mit den Vorjahresquartalen – und was für den mit den Vorquartalen?
An den Anfang der folgenden Erläuterungen sei das hier gestellt:
Beide Vergleichsarten haben ihre Berechtigung, weil sie unterschiedliche ökonomische Informationen liefern.
➔ Veränderung gegenüber dem Vorjahresquartal
Hier gilt grundsätzlich der Vorteil: Saisonale Schwankungen (Weihnachtsgeschäft, Sommerflaute, Urlaubszeiten usw.) sind bereits „herausgerechnet“, weil man dasselbe Quartal im Jahresverlauf betrachtet.
Diese Berechnung ist gut geeignet, wenn man längerfristige Trends und strukturelle Veränderungen der Wirtschaft abbilden will.
➔ Veränderung gegenüber dem Vorquartal
Diese Zahlen werden saison- und kalenderbereinigt, damit man trotzdem sinnvolle Aussagen bekommt (wenn sie das nicht wären, dann wäre das tatsächlich ein Äpfel-und-Birnen-Vergleich).
Was ist der Vorteil dieses Verfahrens? Der Vorquartalsvergleich zeigt sehr zeitnah, ob die Wirtschaft gerade jetzt steigt, fällt oder stagniert.
Dieses Verfahren ist gut geeignet, wenn es um das Erkennen von konjunkturellen Wendepunkten (Beginn einer Rezession oder einer Erholungsphase) geht. Der Vorquartalsvergleich ist schneller und konjunktursensibler.
Der Vergleich mit dem jeweiligen Vorquartal spielt auch eine Rolle bei der „technischen“ Bestimmung, ob wir in eine Rezession gerutscht sind:
➔ „Technische“ Definition von Rezession: Zwei aufeinanderfolgende Quartale mit negativem realem BIP-Wachstum gegenüber dem Vorquartal (saison- und kalenderbereinigt).
Wenn man nur den Vorjahresquartalsvergleich verwenden würde, dann besteht die Gefahr, dass man kurzfristige Wendepunkte erst sehr spät erkennt. Also wenn die Wirtschaft im aktuellen Quartal einbricht, dann würde das der Vorjahresquartalsvergleich erst Monate später anzeigen.
Wenn man hingegen nur den Vorquartalsvergleich verwenden würde, dann wäre das Bild zu volatil, also zu schwankend, trotz saisonaler Bereinigung und man würde strukturelle Veränderungen schwerer erkennen können.
Fazit: Beide Berechnungsweisen haben ihre Berechtigung und ergänzen sich.
Die EZB, die Bundesbank und viele Forschungsinstitute achten bei der aktuelle Bestimmung der konjunkturellen Lage am stärksten auf den saison- und kalenderbereinigten Vorquartalsvergleich, weil der zur Beurteilung des aktuellen Konjunkturverlaufs präziser ist.
Und wenn Sie jetzt nochmal auf die Abbildung am Anfang dieses Beitrags schauen, dann können Sie erkennen, dass der Vorjahresquartalsvergleich für das 3. Quartal 2025 ein leichtes Wirtschaftswachstum von 0,3 Prozent ausweist – während doch in der Wirtschaftspresse zu lesen ist, dass die deutsche Wirtschaft stagniert, nicht von der Stelle kommt, Stillstand, kein Wachstum. Dieser Befund wird erkennbar, wenn man auf den Vorquartalsvergleich schaut. Da steht für das 3. Quartal 2025 gegenüber dem vorangegangenen 2. Quartal 2025 eine Null. Kein Wachstum, nicht mal ein ganz kleines Wachstum. Stillstand eben.